taz.de -- Debatte um BER: Weniger Fluggäste? Und wenn schon!

Immer wieder wird gesagt, der BER sei für die steigenden Passagierzahlen viel zu klein. Dabei wäre es nur vernünftig, den Flugverkehr zu begrenzen.
Bild: Warum muss ein Flughafen immer weiter wachsen? Ein Naturgesetz ist das nicht

Jedes Mal, wenn Sebastian Czaja für den Flughafen Tegel in die Bütt steigt, präsentiert er ein Diagramm mit vielen bunten Balken, die von links nach rechts immer höher werden. Mit einer Mischung aus Stolz und Sorge erklärt der FDP-Fraktionschef dann, dass diese Balken das Wachstum der Passagierzahlen auf den Berliner Flughäfen abbilden – das der vergangenen Jahre und das künftige.

Bedenklich, ja desaströs, so Czaja, sei nun der Umstand, dass der Flughafen BER, wenn er denn einmal an den Start gehe, schon zu klein ausfalle für den stetig wachsenden Zustrom. Da helfe auch das Versprechen der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg (FBB) nichts, das alte Schönefelder Terminal mitzunutzen und rasch Ergänzungsbauten hochzuziehen: Den prognostizierten 60 Millionen Fluggästen im Jahr 2030 sei nur mit dem Weiterbetrieb von Tegel beizukommen. Punkt.

Prognose reichlich windig

Klingt irgendwie rational – mal abgesehen davon, dass die 60-Millionen-Prognose reichlich windig ist: Im laufenden Jahr werden sich die Passagierzahlen in Tegel und Schönefeld zusammen laut FBB auf rund 34 Millionen belaufen. Da eben mal 26 Millionen in 13 Jahren draufzuschlagen ist das Wunschdenken von Wachstumsjunkies.

Andererseits liegt auch die offizielle Prognose, die die FBB von einem seriösen Institut hat erstellen lassen, bei 47 Millionen im Jahr 2030 sowie 55 Millionen im Jahr 2040, Air-Berlin-Pleite hin oder her. Erst am Montag hat Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup einen „Masterplan“ für den Ausbau des BER vorgestellt, damit der Flughafen diese Masse an Menschen auch bewältigt.

Wenn das mit dem Weiterbauen am BER nun aber wie gewohnt nicht klappen sollte? Wäre es dann nicht ein Gebot der Vernunft, anderweitig – sagen wir: in Tegel – für Abfertigungskapazitäten zu sorgen?

Nein, ist es nicht.

Zuallererst sollte man dem Alarmismus von Czaja & Co. nicht auf den Leim gehen. Denn mal angenommen, deren waghalsige Prognosen stimmten – würden die ganzen Extramillionen an Fluggästen dann über der Stadt abgeworfen? Würden Sie zweimal quer übers BER-Rollfeld Schlange stehen?

Nein, sie würden nicht kommen, nicht in diesen Mengen. Schließlich muss jeder Airport regelmäßig die sogenannten Flughafenslots, Start-und-Lande-Zeitfenster für die Fluggesellschaften, beantragen. Fehlen Terminals in ausreichender Größe, kann die Slotzahl nicht unbegrenzt weitersteigen.

Bei dieser Erkenntnis muss man nicht stehen bleiben. Ist das stetig hohe Wachstum der Fluggastzahlen eine Konstante? Gar gottgegeben? Natürlich nicht. Es ist politisch gewollt und wird mit diversen Instrumenten gefördert. Und es muss in diesem Tempo nicht weitergehen. Bloß trauen sich das nur wenige zu sagen, ja überhaupt zu denken. Der Fetisch Wachstum sitzt viel zu fest in den Köpfen.

Einmal, Anfang dieses Jahres, haben sich ein paar linke Sozis getraut, das Undenkbare auszusprechen: Wenn man die Risiken des Klimawandels und Berlins selbstgewählte Klimaziele ernst nehme, müsse man das Wachstum im Luftverkehr zumindest auf den aktuellen Stand begrenzen, formulierten die SPD-Landesfachausschüsse für Umweltschutz und Mobilität in einem Parteitagsantrag.

Was hatten sie konkret vorgeschlagen? Beispielsweise den Abbau der „verkehrsfördernden Maßnahmen“, mit denen die Flughafengesellschaft einer Airline umso höhere Rabatte bei Start-und-Lande-Entgelten einräumt, je mehr Passagiere sie in Berlin umschlägt. Weitere massive Preisnachlässe gibt es für neue Destinationen.

Und überhaupt ist „Berlin der absolute Billigheimer“, wie der Finanzwissenschaftler Friedrich Thießen sagt, der vor ein paar Jahren im Auftrag der Berliner und Brandenburger Grünen eine Studie zur Wirtschaftlichkeit der Berliner Flughäfen vorgelegt hat. Die Einnahmen aus dem Flugbetrieb pro Passagier lägen in Tegel und Schönefeld weit unter denen von Frankfurt, München, Düsseldorf oder Hamburg. Um eine nur halbwegs ausgeglichene Bilanz zu erreichen, so Thießens Studie, müsste die Flughafengesellschaft ihre Erträge pro Passagier um 50 Prozent steigern.

Heiliger Kapitalismus

Warum sollte das nicht möglich sein? Ja, es gibt Wettbewerb zwischen den Flughäfen, und die Airlines mit ihrer Marktmacht drücken erfolgreich die Preise. Aber ist Berlin nicht ein Touristenmagnet? Na also: Eine Preisanpassung würde nicht in der Katastrophe enden. Es kämen ein paar Leute weniger. So what?

Die ketzerischen Sozis hatten sogar noch Schlimmeres vorgeschlagen: Man könne doch auch das Nachtflugverbot ausweiten oder CO2-abhängige Sonderabgaben prüfen – so wie es jetzt Lärmabgaben gibt.

Bei den Grünen war so etwas vor zehn – oder sagen wir: zwanzig – Jahren noch Common Sense. Heute nicht mehr. Die vermeintliche Öko-Partei hat eine Heidenangst davor, einen kapitalistischen Grundsatz wie das Wachstumsprinzip anzukratzen. Auch in der Linken gibt es keinen Rückhalt für solche vermeintlich radikalen Ansätze, die in politischen Graswurzel-Zusammenhängen inzwischen unter dem Label „Degrowth“ laufen.

Stattdessen heißt es in den offiziellen Stellungnahmen des rot-rot-grünen Senats zum Tegel-Volksentscheid, die Berliner Flughäfen verzeichneten seit Jahren ein „erfreulich hohes Passagierwachstum“. Im Klartext: „Erfreulich“ ist, wenn dank Lohndrückerei und staatlicher Beihilfe mehr und mehr und mehr Kilotonnen CO2 in die Atmosphäre geblasen werden. Vom Lärm ganz zu schweigen.

Wir könnten auch ein noch größeres Fass aufmachen und die Frage stellen, wie viel Tourismus Berlin denn auf Dauer verträgt. Ob es rational ist, anzunehmen, dass ein ungebremstes Wachstum der Besucherzahlen mit der dazugehörigen Blase aus Beherbungsbetrieben und Immobilienpreisen gut gehen kann. Ewig zeigt keine Kurve nach oben, auch keine eines Sebastian Czaja. Wenn es aber einmal abwärts geht, wäre eine sanfte Landung fraglos besser.

1 Sep 2017

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Claudius Prößer

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