taz.de -- „Ende Gelände“-Camp gegen Braunkohle: Aufrüstung im Rheinland
Ein 6.000-Leute-Camp wurde erst auf den letzten Drücker genehmigt. Das Innenministerium befürchtet Ausschreitungen wie bei G20.
Berlin taz | Eines ist jetzt schon sicher: Das werden die größten Braunkohle-Proteste, die Nordrhein-Westfalen je erlebt hat. Über 6.000 TeilnehmerInnen erwarten die Veranstalterinnen zum diesjährigen Klimacamp, das am kommenden Freitag zunächst mit einem Bildungsprogramm beginnt, bevor dann vom 24. bis 28. August diverse Protestaktionen rund um die rheinischen Tagebaue und Kraftwerke des Energiekonzerns RWE stattfinden sollen. Polizei und Behörden gehen von einer ähnlichen Größenordnung aus.
Zur Frage, was genau bei den Protesten ansteht, gehen die Einschätzungen hingegen weit auseinander. Das nordrhein-westfälische Innenministerium, seit Kurzem von Herbert Reul (CDU) geführt, stellt einen Zusammenhang zwischen dem Klimacamp und den gewalttätigen Ausschreitungen beim G20-Gipfel her. „Die linksextremistische Szene wertet Hamburg als Erfolg“, so eine Sprecherin. Darum sei es möglich, dass „gewaltbereite Extreme das Klimacamp nutzen“.
Die Aachener Polizei gibt sich zurückhaltender. Zur Teilnahme gewalttätiger G20-Demonstranten am Klimacamp gebe es „keine gesicherten Erkenntnisse“, sagte Sprecher Paul Kemen der taz. Allerdings sei dies zumindest „in Einzelfällen nicht auszuschließen“. Polizeipräsident Dirk Weinspach sendet in einem Video eine doppelte Botschaft: Die Polizei setze bei den Klimaprotesten „auf Kommunikation und Deeskalation“, kündigte er an. Gleichzeitig werde man „auf Straftaten und Gewalt angemessen reagieren“.
Tatsächlich gibt es in diesem Jahr neben den Aufrufen zu gewaltfreien Blockaden unter dem Titel „Zucker im Tank“ auch einen Aufruf zu Sabotageakten: „Was Gewalt ist und was nicht, welche Aktionsformen legitim sind und welche nicht, können und wollen wir nicht für alle festlegen“, heißt es darin.
„Erdwälle errichtet und Zäune gezogen“
Das Bündnis „Ende Gelände“ weist die Unterstellung, gewalttätig vorgehen zu wollen, hingegen zurück. Wie im Jahr 2015 im Rheinland und im vergangenen Jahr in der Lausitz wird unter diesem Namen wieder zu „massenhaften zivilem Ungehorsam“ aufgerufen. Ziel ist es, Braunkohle-Infrastruktur wie Kraftwerke, Schienen oder Bagger zu blockieren, weil diese das Klima gefährden und die Landschaft zerstören.
„Wir werden dabei ruhig und besonnen vorgehen, keine Infrastruktur beschädigen und keine Menschen gefährden“ betont „Ende Gelände“-Sprecherin Janna Aljets. „Unsere Aktion richtet sich nicht gegen die Polizei oder Angestellte von RWE. Wir setzen uns für ein Klima der Gerechtigkeit ein – vor Ort und weltweit.“
Als vor zwei Jahren über 1.000 Menschen im Rahmen von „Ende Gelände“ den Tagebau Garzweiler besetzten, ging von den AktivistInnen tatsächlich keinerlei Gewalt aus. Auch juristisch hatte die Aktion bisher wenig Folgen, weil Gerichte, da der Tagebau nicht eingegrenzt war, den Tatbestand des Hausfriedensbruchs als nicht erfüllt sahen. Und bei der Blockade des Braunkohlekraftwerks Schwarze Pumpe und eines Tagebaus in der Lausitz im vergangenen Jahr wurde mangels Erfolgsaussichten sogar weitgehend auf Festnahmen und Anklagen verzichtet.
RWE hingegen will auch dieses Jahr gegen jedes unbefugte Betreten seines Betriebsgeländes vorgehen. „Zuwiderhandlungen werden konsequent straf- und zivilrechtlich verfolgt“, so Sprecherin Stephanie Buchloh. Um das Betriebsgelände klarer zu markieren, habe das Unternehmen „Erdwälle errichtet und Zäune gezogen“ sowie neue Schilder aufgestellt. So werde sichergestellt, dass „ein Betreten des Tagebaus selber, aber auch des Vorfelds zweifelsfrei den Tatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllt“.
Polizei warnte Grundstückseigentümer
Probleme hatten die Veranstalter im Vorfeld damit, Orte für die geplanten Camps zu finden. „Die Suche war extrem schwierig“, sagte Camp-Sprecher Christopher Laumanns der taz. Grundstückseigentümer, die erwogen hätten, Flächen an das Camp zu vermieten, seien von der Polizei kontaktiert und teilweise gewarnt worden.
Erst am Freitag – wenige Tage bevor der Aufbau beginnen sollte – gab es schließlich eine Genehmigung für eine private Fläche am Lahey Park bei Erkelenz westlich von Köln. Die Polizei erklärte die Verzögerung damit, dass zunächst Fragen bezüglich der Sanitärversorgung und Rettungswege geklärt werden mussten.
Ein weiteres kleineres Camp, das die Jugendverbände von BUND und Naturschutzbund organisieren, darf nicht in Kerpen-Buir stattfinden, wo sich viele EinwohnerInnen gegen die Folgen des Braunkohleabaus wehren. Stattdessen wird das Jugendcamp nun im bereits weitgehend geräumten Kerpener Stadtteil Manheim aufgebaut, so Organisator Malte Stocker.
Spannend dürfte werden, wie die Bevölkerung im Rheinland auf die Braunkohle-Proteste reagiert. In der Lausitz hatte die Bergbaugewerkschaft IG BCE zu Aktionen gegen die KlimaaktivistInnen aufgerufen; danach kam es zu Drohungen und Attacken, an denen örtlich ansässige Rechtsextreme beteiligt waren.
„Schnauze voll!“
Auch im Rheinland macht die Gewerkschaft schon im Vorfeld unter Verweis auf die Krawalle bei den G20-Protesten Stimmung gegen die KlimaschützerInnen. „Wir haben große Sorgen, dass es in den Tagen des Klimacamps 2017 auch zu gewalttätigen Aktionen kommt“, heißt es in einem Flugblatt, mit dem die IG BCE unter dem Motto „Schnauze voll!“ zu Mahnwachen während des Klimacamps aufruft.
Zugleich gibt es in der Region aber auch viele Bürgerinitiativen, die sich gegen die Zerstörung ihrer Gemeinden durch Braunkohle-Tagebaue wehren. Die Veranstalter des Klimacamps wollen sich um einen intensiven Austausch mit der lokalen Bevölkerung bemühen. „Wir wollen stärker mit den AnwohnerInnen und den Beschäftigten von RWE ins Gespräch kommen“, sagt Mitveranstalterin Johanna Winter.
„Denn sie sind es, die hier direkt von der Entwicklung der Region betroffen sind.“ Geplant sind unter anderem zwei Führungen durchs Camp sowie eine Diskussion mit dem örtlichen Bezirksleiter der Industriegewerkschaft BCE in der Stadthalle Erkelenz.
14 Aug 2017
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