taz.de -- Fahrverbote und Dieselskandal: 12 Millionen Stinker dürfen nicht irren

Trotz des offensichtlichen Betrugs der Autoindustrie: Die Verantwortlichen in Bund und Ländern scheuen Fahrverbote für schmutzige Diesel.
Bild: Das waren noch Zeiten! Da gab es noch gar keinen Feinstaub!

Berlin taz | Wer verstehen will, warum Bürgermeister sich schwer damit tun, Dieselstinker einfach aus der Stadt auszusperren, sollte sich an einem Montagmorgen im Berufsverkehr an eine Ausfallstraße einer Großstadt stellen, beispielsweise an die Bundesstraße 1 im östlichen Berliner Bezirk Friedrichshain: Hier, in der Frankfurter Allee, stehen Fahrzeuge Stoßstange an Stoßstange und quälen sich, die Luft verpestend, im Stau in die Innenstadt.

Was für Fahrzeuge sind das? Einige Berufspendlerautos sind darunter, aber die meisten sind gewerblich unterwegs: kleine Lkws, Busse, Lieferanten, Paketdienste – und jede Menge Handwerker. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu verstehen: Würde das rot-rot-grün regierte Berlin solche Fahrzeuge – die meisten sind Diesel – einfach stoppen, käme das alltägliche Leben in der Stadt durcheinander.

Entsprechend groß wäre der politische Ärger für den, der dafür verantwortlich zeichnet – zwölf Millionen deutsche Dieselbesitzer können nicht irren, schon gar nicht während des Bundestagswahlkampfs. Und deshalb möchte im Grunde niemand über Fahrverbote sprechen und schon gar nicht welche verhängen.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) redet sich damit heraus, die Kommunen seien verantwortlich, viele Kommunen argumentieren, ohne eine bundesweit eingeführte Blaue Plakette seien ihnen die Hände gebunden. Selbst in Stuttgart, wo ein grüner Oberbürgermeister und ein grüner Ministerpräsident das Sagen haben, gilt ein Fahrverbot nur als letztes Mittel.

Verbrauchertäuschung bei allen Herstellern

Die Stuttgarter Linie ist eher, mit der Androhung eines Fahrverbots die Autoindustrie zu Nachbesserungen zu zwingen. Denn Dieselfahrzeuge, die an manchen Tagen wichtige Straßen nicht mehr befahren dürften, verlören an Wert. Besitzer von Altfahrzeugen würden sich enteignet fühlen, hatten sie sich doch beim Kauf darauf verlassen, dass ihr Auto die EU-Abgasnormen erfüllt, insbesondere bei den giftigen Stickoxiden, der Sammelbezeichnung für die gasförmigen Stickstoffoxide, zu denen auch Stickstoffdioxid zählt.

Davon kann jedoch keine Rede sein, und zwar nicht nur bei VW. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft bei Daimler. Offenbar verkaufen alle Hersteller Modelle, bei denen die Abgasreinigung heruntergeregelt wird, wenn sich das Fahrzeug nicht in einem offiziellen Test befindet. Damit wollen die Konzerne Herstellungskosten senken und der Kundschaft das lästige Nachfüllen einer Harnstofflösung für das Abgasreinigungssystem ersparen, wie es Fahrer großer Lkws regelmäßig tun. Bei Lastern funktioniert die Abgasreinigung deshalb zuverlässig – weshalb, technisch gesehen, der Abgesang auf den Diesel verfrüht scheint.

Die große Lösung des Problems wäre ganz einfach: Verkauft werden dürften nur noch Autos, die die Grenzwerte wirklich einhalten. Bei bereits im Verkehr befindlichen schmutzigen Fahrzeugen müsste die Zulassung erlöschen. Weil die Besitzer nichts dafür können, müssten die Hersteller diese Fahrzeuge auf ihre Kosten zurücknehmen.

Zu dieser großen Lösung wird es wohl nicht kommen, weil sie aufgrund der schieren Masse aus Sicht der Politik die Konzerne überfordern könnte. Für Strafen, Entschädigungen und Rücknahmen zahlt VW allein in den USA mindestens 20 Milliarden Euro – bei einer halben Million Fahrzeuge.

In Deutschland darf VW seine 2,5 Millionen Betrugsfahrzeuge dagegen umrüsten. Diese optimierten Fahrzeuge sind zwar besser, aber nicht sauber. Beim ADAC-Test im Realbetrieb verbesserte sich beispielsweise der Golf 1.6 bei den Stickoxiden auf der Autobahn von 965 Milligramm pro Kilometer auf 468 Milligramm. Der Grenzwert zur Erreichung der Euro-6-Norm liegt bei Pkws aber bei 80 Milligramm.

Verzögerungsversuch Autogipfel?

Anfang August soll es nun auf Initiative von Bayern und Baden-Württemberg einen Autogipfel zwischen der Politik und Industrie geben, um Lösungen für das Problem zu finden. Ob es sich dabei nur um einen Verzögerungsversuch angesichts der Bundestagswahl oder um eine tatsächliche Lösungssuche handelt, ist noch nicht ausgemacht.

Gerd Lottsiepen, Autoexperte beim ökologischen Verkehrsclub Deutschland, hofft auf Letzteres: „Bei dem Gipfel muss es einen Befreiungsschlag geben, egal was er die Industrie kostet“, sagte er der taz. Angesichts der Zahlungen in den USA könne der Konzern auch Umrüstungen für ein paar Milliarden Euro in Deutschland stemmen.

Auch der Grünen-Verkehrsexpert Oliver Krischer pocht auf wirksame Maßnahmen. „Wir brauchen eine zeitnahe Perspektive auf saubere Stadtluft“, sagte Krischer der taz. Andernfalls steige die Wahrscheinlichkeit von Fahrverboten. Die Hersteller müssten damit beginnen, auf eigene Kosten nachzurüsten. Dies müsse nicht gleich flächendeckend geschehen, sondern es könnte in den besonders betroffenen Städten begonnen werden. Berlin-Friedrichshain würde sich sicher freuen.

18 Jul 2017

AUTOREN

Richard Rother

TAGS

Dieselskandal
Autoindustrie
Stickoxide
Fahrverbot
Diesel
Wir retten die Welt
Autobahn
BMW
Dieselskandal
BMW
Diesel
Dieselskandal
Schwerpunkt Klimawandel
Diesel
Berliner Senat
Dieselskandal

ARTIKEL ZUM THEMA

Kolumne Wir retten die Welt: Steuersünder sollen zahlen, also alle

Wer soll für die Kosten des Dieselskandals aufkommen? Es gilt das Verursacherprinzip, hießt es von allen Seiten. Das klingt gut, ist aber falsch.

Gullydeckel sind Mangelware in Berlin: Die Fachfirma ist schon informiert

Nichts geht mehr auf der Stadtautobahn A100, weil ein Gullydeckel bricht. Ach Berlin, du bist so wunderbar, wenn du nicht so richtig rund läufst.

Mögliche Absprachen der Autokonzerne: Ermittler prüfen Kartellvorwürfe

Selbstanzeige bei Daimler, Krisensitzung bei VW, Druck auf Dobrindt: Die Folgen der mutmaßlichen Absprachen der Autokonzerne sind noch längst nicht abzusehen.

Kommentar Abgasskandal und Politik: Technoclubs statt Daimler

Die deutschen Autobauer lügen und lügen und lügen. Da hilft kein sanfter Druck à la Kretschmann mehr, wie zuletzt der Kartellverdacht zeigt.

Kartellverdacht gegen VW, Daimler, BMW: Ein Abgasfilter für alle

Laut einem Bericht sollen sich mehrere Konzerne heimlich abgesprochen haben. Der Abgasskandal könnte damit eine neue Facette bekommen.

Luftreinhalte-Prozess in Stuttgart: Grün-Schwarz vor Niederlage

Richter am Verwaltungsgericht Stuttgart tendieren zu Maßnahmen gegen ältere Diesel-Pkw. Sonst stehen die Grenzwerte nur auf dem Papier.

Diesel-Skandal bei Daimler: Millionen Autos werden nachgerüstet

Zehntausende Autos ließ Daimler bereits umbauen, um den Schadstoffausstoß zu verringern. Nun sollen es mehr als drei Millionen Fahrzeuge werden.

Kommentar Autoindustrie: Kuscheln ist keine Lösung

Ohne festes Zulassungsende von Verbrennungsmotoren in der EU wird es nicht gehen. Und ein politischer Kuschelkurs freut nur die Autoindustrie.

Dicke Luft im Stuttgarter Talkessel: Streit um Fahrverbote

Die Deutsche Umwelthilfe will Baden-Württemberg zur Grenzwert-Einhaltung zwingen. Aber das Land tut sich mit Fahrverboten schwer. Warum nur?

Dienstwagenflotte in Berlin: Senat hat Ladehemmung

Die Senatoren setzen beim Dienstwagen zu selten auf Hybridtechnik, keiner fährt E-Auto. Eine Grüner kritisiert deswegen vor allem die Linke scharf.

Diesel-Abgas-Betrug bei Autobauern: Zwei Beschuldigte bei Daimler

Daimler soll tiefer in die Abgas-Affäre bei Diesel-Autos verstrickt sein, als bekannt. Die Konzernmanager wurden nun ins Verkehrsministerium zitiert.