taz.de -- Kommentar Autoindustrie: Kuscheln ist keine Lösung

Ohne festes Zulassungsende von Verbrennungsmotoren in der EU wird es nicht gehen. Und ein politischer Kuschelkurs freut nur die Autoindustrie.
Bild: Igitt!

Wer sich noch vor Kurzem einen angeblich sauberen Diesel zugelegt hat, wird wohl insbesondere Kohle verbrennen. Wertverluste lassen sich nicht mehr vermeiden, da der Diesel erst in den Städten und in wenigen Jahren insgesamt keine Zukunft mehr hat. Der Grund ist banal: Die Industrie hat in Sachen Luftreinhaltung die Vorgaben europäischer Gesetzgebung in der Praxis zu oft nicht eingehalten, für künftige Standards wird der Aufwand zu teuer, siehe den Ausstieg von Volvo aus der Technik.

Jenseits der aktuellen Frage, ob nun auch Daimler im juristischen Sinne manipuliert hat: Schuld an Geldvernichtung und Problemen der Autoindustrie ist nicht die Deutsche Umwelthilfe, die vor Gericht Urteile gegen die Untätigkeit von Städten in Sachen Gesundheitsschutz erkämpft, welche hoffentlich zu Dieselfahrverboten führen. Nein, Fahrverbote, Wertverluste, kostspielige Rückruf- und Entschädigungsmaßnahmen haben uns die „Freunde“ der Autoindustrie eingebrockt. Verkehrsminister an erster Stelle, die bis heute weder konsequent kontrollieren noch gegen Autohersteller juristisch vorgehen wollten.

Dieser Laisser-faire-Ansatz ist nicht nur mit Blick auf Gesundheits- und Verbraucherschutz, sondern auch industriepolitisch gescheitert. Und er deutet auf ein tieferes Problem hin: auf Staatsversagen in Sachen Vollzug und Kontrolle – siehe Vertrauensverlust in das Kraftfahrtbundesamt. Der Treppenwitz: „Law and Order“ muss mühsam von Umweltverbänden erkämpft werden, wogegen staatstragende Parteien immer noch mit den Verdächtigen in der Industrie kuscheln.

Dabei braucht die Autoindustrie gesetzliche Vorgaben, die vernünftig kontrolliert und sanktioniert werden. Da national anscheinend schwierig, sollte dies verstärkt in Brüssel geschehen. Was bedeutet das Dieseldesaster nun mit Blick auf das Ende des Verbrennungsmotors und die Konversion der Autoindustrie? Wer in der Zukunft, also nach 2030, ähnliche Fahrverbote wegen Klimaschutz vermeiden möchte, muss vor allem für die Bedingungen einer schnellen Elektrifizierung sorgen.

Mit politischem Kuschelkurs, also ohne festes Zulassungsende von Verbrennungsmotoren in der EU und ohne gesetzliche Zwischenschritte durch Quoten wie in China, wird das nicht gehen.

19 Jul 2017

AUTOREN

Martin Unfried

TAGS

Schwerpunkt Klimawandel
Kohle
Autoindustrie
Fahrverbot
Diesel
Energiewende
Verbrennungsmotoren
Lesestück Recherche und Reportage
Dieselskandal
Diesel
Dieselskandal
Dieselskandal
Dieselskandal
Dieselskandal
Dieselskandal

ARTIKEL ZUM THEMA

Kolumne Die eine Frage: Law-and-Order-Politik, bitte!

Deutschland war immer für das Auto. Die Grünen waren gegen das Auto, sie wurden sogar gegen das Auto gegründet. Und jetzt?

Benziner und Diesel in Großbritannien: Nur noch Elektro ab 2040

Ab 2040 will Großbritannien den Verkauf von Diesel- und Benzinautos verbieten. Dann sollen nur noch Elektroautos erlaubt sein.

Klimaschutz in Großbritannien: Weltmeister im Abstiegskampf

Kein Industrieland hat eine so gute Klimabilanz wie Großbritannien. Doch jetzt stockt die Energiewende. Der Brexit macht alles noch komplizierter.

Kommentar Abgasskandal und Politik: Technoclubs statt Daimler

Die deutschen Autobauer lügen und lügen und lügen. Da hilft kein sanfter Druck à la Kretschmann mehr, wie zuletzt der Kartellverdacht zeigt.

Dicke Luft im Stuttgarter Talkessel: Streit um Fahrverbote

Die Deutsche Umwelthilfe will Baden-Württemberg zur Grenzwert-Einhaltung zwingen. Aber das Land tut sich mit Fahrverboten schwer. Warum nur?

Fahrverbote und Dieselskandal: 12 Millionen Stinker dürfen nicht irren

Trotz des offensichtlichen Betrugs der Autoindustrie: Die Verantwortlichen in Bund und Ländern scheuen Fahrverbote für schmutzige Diesel.

Umgang mit dem Abgas-Skandal: Dobrindts Sauber-Zauber

Verkehrsminister Dobrindt sieht nur noch zwei von ehemals 19 CO2-Sündern bei Dieselautos. Er kündigt ein neues Institut zur Abgasmessung an.

LobbyControl über Bundesregierung: Schwarz-Rot sieht rot

Der Verein LobbyControl zieht eine negative Bilanz der großen Koalition. Sie sei für Skandale wie Dieselgate mitverantwortlich.

Betrugsverdacht bei VW-Tochter Audi: Der Trick mit dem Lenkrad

Bei 24.000 Oberklasse-Autos soll der Konzern bei den Abgastests betrogen haben. Die Lenkwinkelerkennung hat dabei wohl geholfen.

Abgastest in der EU: Deutschland lässt das Stänkern nicht

Brüssel zieht Konsequenzen aus dem VW-Dieselskandal, doch Berlin steht weiter auf der Bremse. Die letzte Entscheidung fällt im Trialog-Verfahren.