taz.de -- Kommentar Polnische Kritik an der EU: Tusk, der ewige Widersacher
Den Kaczyńskis war EU-Ratspräsident Donald Tusk immer ein Dorn im Auge. Jetzt wird er mit Hass und Verschwörungstheorien konfrontiert.
Die Nachrichten aus Polen werden immer absurder. Warum will Polens Regierung nicht, dass Donald Tusk im Juni seine zweite Amtszeit als EU-Ratspräsident antritt? Weil der Pole ein „Kandidat Angela Merkels“ sei, erklärt allen Ernstes Jarosław Kaczyński in Warschau. Der Parteivorsitzende der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die seit Oktober 2015 mit absoluter Mehrheit regiert, war auch einmal Premier Polens. Doch nicht fast acht Jahre lang wie Tusk, sondern gerade mal ein Jahr.
Neid und Missgunst gegenüber dem Erfolgreicheren steigerten sich zu purem Hass, als im Jahre 2010 sein Zwillingsbruder, der damalige polnische Präsident Lech Kaczyński, bei der Flugzeugkatastrophe im russischen Smolensk ums Leben kam. Tusk war damals Premier. Nur zwei Tage vor dem Unglücksflug hatte Tusk dem damaligen russischen Premier Putin über den Gräbern von Katyn die Hand zur Versöhnung gereicht. Hier hatte 1940 der sowjetische Geheimdienst Tausende polnischer Offiziere ermorden lassen.
LechKaczyński wollte in Katyn seine Wahlkampagne für eine zweite Amtszeit starten. Das Flugzeug zerschellte bei dichtem Nebel in Smolensk. Dabei hatte der Pilot den Präsidenten um die politische Entscheidung gebeten, Ausweichflughäfen im weißrussischen Minsk oder im russischen Moskau zu benennen. Das tat Kaczyński nicht, obwohl er kurz vor dem Absturz noch mit seinem Bruder telefonierte und ihn wahrscheinlich um Rat fragte. Dieses Gespräch wurde bis heute nicht veröffentlicht. Jarosław Kaczyński aber bezichtigt Tusk, für den Tod seines Bruder die „moralische Verantwortung“ zu tragen.
Der ewige Widersacher soll nun endlich von der politischen Bühne verschwinden. Gelingen soll das mit einer neuen perfiden Verschwörungstheorie, mit der später die Bundesrepublik und alle anderen EU-Staaten erpresst werden können: „Tusk ist der Kandidat Angela Merkels.“
6 Mar 2017
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Verschwörungstheorien sind en vogue: Sie mobilisieren Demonstranten, verbinden Politiker mit Anhängern und entscheiden über den Ausgang von Wahlen.
EU-Ratspräsident Donald Tusk wird als Zeuge vor einem Warschauer Gericht angehört. Es geht um eine Zusammenarbeit mit Russland.
Die polnische Regierung bleibt trotz Beweismangel dabei, dass das Unglück ein Anschlag gewesen sei. Der Absturz jährt sich zum siebten Mal.
Polen antwortet nach der Abstimmungsniederlage über die EU-Ratspräsidentschaft mit einer Blockade. Alles halb so schlimm, sagt die Kanzlerin.
Die polnische Regierung ist von nationaler Eitelkeit getrieben. Sie will die EU schwächen und die deutsche Vormacht einschränken.
Die EU schlingert. Sie braucht eine starke Führung. Tusks Wiederwahl ist sicher, doch das polnische Debakel wird auch für ihn Folgen haben.
Die meisten EU-Länder würden Tusk wohl wiederwählen. Die polnische Regierung hat nun einen Gegenkandidaten aufgestellt.
Heute wird die Kanzlerin Polen besuchen. Bisher hat sie den dortigen Abbau der Demokratie nicht kommentiert. Und Polens Regierung sucht ihre Nähe.
Die außerparlamentarische Opposition Polens konnte die Verlierer der Transformation bisher nicht integrieren. Muss sie aber, damit sie nicht scheitert.
Vor dem und im Parlament protestieren Menschen gegen die Politik der nationalkonservativen Regierung. Diese schießt verbal heftig zurück.
Der Polnische Botschafter sucht verzweifelt ein Kino, das den Staatspropaganda-Film „Smolensk“ zeigen will. Bisher vergeblich.
Deutsche Überheblichkeit beim Blick auf Kaczyński ist keine Hilfe. Die Polen können, wollen und müssen ihre Probleme selbst lösen.