taz.de -- Koalitionskrach in Berlin: Eine Machtprobe
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) aufgefordert, Staatssekretär Andrej Holm zu entlassen. Die Situation ist verfahren.
Es war wohl die Einlassung von Andrej Holm, die bei Michael Müller das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Am Donnerstag hatte der von der Linken nominierte Baustaatssekretär bei der Humboldt-Universität eine Stellungnahme eingereicht. Er bat „diejenigen, denen in der DDR Leid zugeführt wurde“, um Verzeihung. Doch dann kam ein Satz, der in der SPD für Verwirrung sorgte. Holm forderte eine „politische Entscheidung, die sich nicht hinter einer arbeitsrechtlichen einreihen sollte“.
Damit hatte Holm das von SPD, Linken und Grünen vereinbarte Verfahren aufgekündigt, die Entscheidung über den Verbleib von Holm im Amt von der arbeitsrechtlichen Bewertung der HU abhängig zu machen. „Wenn er eine politische Entscheidung will, kann er sie haben“, sagte ein Sozialdemokrat am Samstag. Kurz darauf verschickte der Regierende Bürgermeister seine Erklärung, in der er Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) aufforderte, Holm zu entlassen.
Dass die SPD Holm in seinem Amt für nicht mehr tragfähig hielt, war schon vor Weihnachten deutlich geworden. Es war die Linke, die im Koalitionsausschuss am 17. Dezember auf Zeit spielte – und SPD und Grüne davon überzeugen konnte, auf die Entscheidung der HU zu warten, die am Mittwoch fallen soll. Dass Müller nun schon zuvor die Reißleine zieht, soll zeigen, dass der unter Druck geratene Regierende handlungsfähig ist. Nicht mehr bei der SPD liegt nun der Ball im Feld, sondern bei der Linken.
Linkspartei in der Klemme
Tatsächlich steckt die Linkspartei seit Samstag gehörig in der Klemme. Noch am Nachmittag waren hochrangige Parteimitglieder davon ausgegangen, dass Holm von sich aus zurücktreten werde. Das hat er aber bis Sonntag nicht getan. Sollte es so bleiben, stünde Bausenatorin Lompscher vor der Wahl, Holm zu entlassen oder mit dem Koalitionsbruch zu spielen. Eine Entlassung Holms kann schon deswegen nicht im Sinne der Partei sein, weil zuletzt 15.000 Unterstützer ihre Unterschrift für einen Verbleib des kritischen Stadtforschers im Amt abgegeben haben. Es war Lompscher selbst, die die Umsetzung der ambitionierten wohnungspolitischen Ziele im Koalitionsvertrag mit der Personalie Holm verknüpft hat. Ihn nun vom Hof zu jagen und nach einer Alternative zu suchen würde auch Lompscher schwächen.
Bliebe die dritte Möglichkeit, nämlich die Sache bis zur Senatssitzung am Dienstag offenzuhalten. Dann wäre der Ball wieder bei Müller, der im Senat die Entlassung Holms beantragen müsste. Eine Mehrheit wäre der SPD sicher, weil sich auch die Grünen eindeutig gegen Holm positioniert haben. Was aber würde es für Rot-Rot-Grün bedeuten, wenn gleich zu Beginn der Koalition einer der drei Partner von den beiden anderen überstimmt wird?
„Die heutige Erklärung des Regierenden Bürgermeisters kam für uns zum jetzigen Zeitpunkt sehr überraschend“, ließen die beiden Fraktionsvorsitzenden Linken, Carola Bluhm und Udo Wolf sowie Landeschefin Katina Schubert am Samstag mitteilen. „Wie schon vor der Senatsklausur versucht ein Koalitionspartner, die anderen Koalitionspartner über die Öffentlichkeit zu Entscheidungen zu zwingen. Das erschwert die Suche nach gemeinsamen Lösungen.“ Man wolle nun noch einmal das Gespräch in der Koalition suchen.
Alte Gräben
Dass die Linke zunächst nicht klein beigibt, ist auch das Ergebnis von zehn Jahren Rot-Rot. Unter Klaus Wowereit hat es die Partei, vor allem in der Wohnungspolitik, zwischen 2001 und 2011 zu keiner Zeit vermocht, politische Akzente zu setzen. Dass die Linke in den sechs Wochen Verhandlungen mit SPD und Grünen alles daran setzte, das Stadtentwicklungsressort zu bekommen, ist der eine Teil der Traumabewältigung, die die Partei durchzumachen hat. Der andere Teil war die Nominierung von Holm. Indem Lompscher den prominentesten Kritiker der Baupolitik in den Senat holte, band sie die stadtpolitischen Initiativen an die wohnungspolitische Agenda von R2G. Ohne Holm wäre wohl der alte Graben wieder da: hier die Senatspolitik, dort der außerparlamentarische Widerstand in den Kiezen.
Allerdings zeichnet sich ab, dass die Linkspartei die Koalition nicht aufs Spiel setzen will. Die Linke müsse sich nun entscheiden, sagte Kultursenator Klaus Lederer in der „Abendschau“, „für Andrej Holm oder für R2G.“ Lederer ließ erkennen, dass für ihn die Koalition wichtiger sei. Auch Lederer wird wissen, dass die Personalie Holm auch nach einem positiven Beschluss der HU nicht ausgestanden wäre. Aus der Senatskanzlei war bereits zu hören, dass dann die „Sicherheitsprüfung“ Holms bevorstehe. Nach der Stasi-Debatte hätte R2G vielleicht eine Debatte um eine linksradikale Vergangenheit des Gentrifizierungskritikers zu befürchten, so die Warnung.
So ist es wahrscheinlich, dass die rot-rot-grüne Koalition, die vor sechs Wochen angetreten war, auch für den Bund beispielgebend zu sein, versucht zur Tagesordnung überzugehen. Ob es ihr gelingt, bleibt offen. Denn nicht nur SPD und Linke liegen derzeit im Clinch. Auch Raed Saleh schießt quer. Über das Verhalten des SPD-Fraktionschefs, der das Sicherheitspaket der eigenen Regierung verdammt hat, werden die Fraktionsvorstände von R2G am Montagmorgen beraten. Der Krisenmodus ist zum Dauerzustand geworden.
15 Jan 2017
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