taz.de -- Nach Mord an Russlands Botschafter: Putin und Erdogan rücken zusammen

Nachdem der russische Botschafter in Ankara erschossen worden ist, stellt sich die Frage: Was bedeutet das für die Beziehung der beiden Länder?
Bild: Sie reden noch miteinander: Sergey Lawrow und Mevlut Cavusoglu, der Außenminister Russlands und sein türkischer Amtskollege

Istanbul taz | Der Mord an dem russischen Botschafter in Ankara am Montagabend „war eine Provokation“. „Er sollte das russisch-türkische Verhältnis zerstören“. Insofern seien sowohl Russland wie auch die Türkei Opfer des Anschlages. Mit diesem Statement noch am Montagabend versuchten der russische Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Kollege Recep Tayyip Erdogan nur Stunden nach dem tödlichen Attentat auf Andrej Karlow eine neue Krise in den russisch-türkischen Beziehungen zu verhindern, bevor der Mord noch seine politische Wirkung ganz entfalten konnte.

Entsprechend dieser Erklärung kommen denn auch wie geplant an diesem Dienstag die Außen- und Verteidigungsminister der Türkei, Irans und Russlands in Moskau zusammen, um erstmals in diesem Format über das weitere Vorgehen in Aleppo zu verhandeln und auch weiterführende Gespräche über die Zukunft Syriens vorzubereiten.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte zu dem Treffen eingeladen und dazu gesagt, seine Absicht sei es, die Länder an einen Tisch zu bekommen, die im Syrienkrieg „wirklich etwas bewirken können“. Die westlichen Staaten würden doch nur Propaganda verbreiten ohne wirklich etwas zu tun.

Erdogan hatte sich beeilt, Putin bereits kurz nach dem tödlichen Attentat in Ankara anzurufen und ihm sein Entsetzen und Beileid mitzuteilen. Er war auch sofort einverstanden, dass Russland eigene Ermittler an den Tatort schickt um die Hintergründe des Anschlages auf den russischen Botschafter auszuleuchten. „Wir müssen wissen, wer die Hand des Mörders geführt hat“, sagte Putin in einer Erklärung in Moskau. Falls Russland auf präzisen Ermittlungen besteht und eine Vertuschung der Hintergründe tatsächlich verhindert, ist allerdings das Risiko groß, dass der jetzige demonstrative Schulterschluss zwischen Erdogan und Putin noch einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt wird.

Stellvertretende Rache für Aleppo?

Wie man jetzt weiss war der Todesschütze ein aktiver türkischer Polizist der seit zweieinhalb Jahren zu einer Cevik Kuvvet-Einheit in Ankara gehört. Das ist die kasernierte Polizei, die immer bei Einsätzen gegen Demonstranten zum Zug kommt und für die Sicherheit bei sämtlichen Großereignissen zuständig ist. Der Todesschütze hieß Mevlüt Mert Altintas und war 22 Jahre alt.

Während er den russischen Botschafter niederschoss, rief er auf Türkisch „Rache für Aleppo“ und „Vergesst Syrien nicht“ und außerdem auf Arabisch eine Parole der Rebellen-Dschihadisten aus Aleppo. Offenbar war der Täter mit seinem Polizeiausweis in die Galerie gekommen, wo Botschafter Karlow gerade eine Ausstellung russischer und türkischer Fotografen eröffnete. Nachdem der Täter mehrere Minuten vor den anwesenden Kameras posiert hatte, wurde er von seinen Kollegen gestellt und in einem Feuergefecht getötet.

Der Attentäter selbst kann deshalb zu seinen möglichen Hintermännern nicht mehr befragt werden. Nimmt man seine Rufe während des Attentats ernst, ist aber klar, dass der Mann stellvertretend für die Islamisten aus Aleppo Rache an Russland nehmen wollte, dem Land, dass durch seine Luftangriffe maßgeblich dazu beigetreten hatte, dass es dem Assad-Regime gelungen war, Aleppo von Rebellen und Nusra-Dschihadis zurückzuerobern. Nun hat Erdogan seit Jahren genau diese Rebellen und Dschihadisten in Aleppo unterstützt und der Attentäter damit ganz im Sinne der türkischen Propaganda gehandelt.

Nur das das Attentat zu einem Zeitpunkt kommt, zu dem die türkische Führung bereits dazu übergegangen war, im Zuge einer neuen Realpolitik über das weitere Schicksal Syriens mit Russland und dem Iran zu verhandeln, statt weiter auf die bewaffneten Dschihadisten zu setzen. Folgerichtig versucht die türkische Regierung den Attentäter jetzt schnell zu einem Anhänger der mit ihr verfeindeten islamischen Gülen-Bewegung zu erklären, um so eine möglichst weite Distanz zwischen sich und dem Botschaftsmörder herzustellen.

Ob Putin jedoch Erdogan diese billige Schuldzuweisung an die Gülen-Bewegung durchgehen lässt, muss man wohl bezweifeln. Auch wenn an der Oberfläche nun der gemeinsame Kampf gegen den Terrorismus beschworen wird, ist doch klar, dass Erdogan und Putin eine jeweils ganz andere Definition davon haben, wer ein Terrorist ist.

20 Dec 2016

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Jürgen Gottschlich

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