taz.de -- taz-Debattenserie Digitalisierung: So verliebt in mich?
Die Digitalisierung frisst ihre Kinder: Über Facebook, Twitter oder Instagram muss das perfekte Bild vom Ich geteilt werden.
Ich und ich – das ist wohl die Beziehung, die digital am meisten zählt. Der Mensch im Spiegel ist der, den viele am meisten lieben. Durch die Möglichkeit, diese Selbstliebe digital vor den Augen anderer zu zelebrieren, dreht sie noch einmal richtig auf. Das Perverse daran: Das alles ist nicht einmal richtig narzisstisch.
Es verwendet die Mittel des Narzissmus und biedert sich dabei ständig dem Follower an. Der Narziss der griechischen Mythologie suchte nicht die Anerkennung der anderen, sondern war in sein Spiegelbild so verliebt, dass andere abblitzten. Der heutige Narzissmus hingegen funktioniert nur, wenn ihn daraufhin ganz viele andere Narzissten liken.
Man könnte das auch für einen Fortschritt halten. Der Narziss von heute fällt nicht mehr kopfüber ins Wasser, wenn er sein vergöttertes Spiegelbild erkennt. Er sieht sich lieber um, wer sein schönes Spiegelbild sonst noch bewundern könnte, und zerrt sein Publikum ans Wasser. Über Facebook, Twitter, Instagram und WhatsApp muss das perfekte Bild vom Ich geteilt werden. Und tausend Freunde, deren Avatar meist ebenso inszeniert wirkt, werden Jubelkomplimente machen oder Smileys mit Herzaugen posten.
Neben den Hass-Posts, die derzeit viele bekämpfen, gibt es nämlich ein weiteres Problem mit dem Sozialverhalten im Netz: der digitale Zuckerguss, mit dem sich viele übergießen und der weder mit dem, wer wir wirklich sind, noch mit dem, wie diese Welt wirklich ist, etwas zu tun hat. Natürlich hat jeder das Recht auf Realitätsflucht. Bedenkt man aber, dass selbst Erwachsene alle paar Minuten auf ihr Smartphone sehen, dann kann man behaupten: Das Leben wird zunehmend zu einer Unterbrechung der digitalen Selbstinszenierung degradiert – wenn die Zwischenphasen nicht dafür genutzt werden, sich mit ebendieser Inszenierung zu beschäftigen.
Schüchterne Mädchen geben sich als digitale Vamps
Manche finden, die digitale Selbstkommunikation sei kreativ und fortschrittlich, sie sehen darin auch soziale Kompetenzen, schließlich bemühen wir uns darum, von anderen gemocht zu werden. Aber stimmt das? Will man gemocht werden? Oder will man begafft werden? Haben wir uns so nicht selbst zu Insassen eines digitalen Zoos gemacht? Statt Zuneigung und Verbindung sucht man Bewunderung. Der Weltruhm des Kleinbürgers ist sein digitales Leben. Legitim, ja. Wir dürfen und sollen alle auch etwas sein wollen. Aber warum nicht mehr als eine digitale Illusion?
Was jedoch am meisten nervt, seit die Digitalisierung die Narzissmus-Maschine angeworfen hat: Die Person, die mir online präsentiert wird, hat mit der, die später vor mir steht, so gut wie nichts zu tun. Junge, schüchterne Mädchen geben sich als digitale Vamps, sie setzen ihren schönen, jungen Gesichtern mittels Contouring-Tricks so zu, dass diese Gesichter am Ende an Kim Kardashian erinnern.
Sie haben dafür extra vorher YouTube-Tutorials anderer Mädchen gesehen, die das auch wollen: sich schminken, damit sie aussehen wie Taylor Swift oder Beyoncé oder sonst wer Glanzvolles. Die Gesetze der Medienwelt, das erfundene Show-Ich, das Alter Ego, mit dem Stars spielen, wird zum Alter Ego von Hinz und Kunz. Die Stars von heute machen damit Geld und manchmal Kunst. Aber was machen Hinz und Kunz damit? Sie höhlen ihren Alltag mit der Inszenierung von Starsein aus.
Schon Teenager senden aus ihren Kinderzimmern YouTube-Tutorials in die Welt. Der gefallsüchtige Blick, die leeren Wortkaskaden als zwingende Zutaten. Die Kosmetikindustrie kapitalisiert diese Aushöhlung der Kindheit dann als authentisch. Diese digitale Welt hat allen, die sie mitschaffen, das Gefühl gegeben, Stars zu sein. Selbst Politiker fallen darauf rein. Die Demokratisierung des Starlebens durch die Digitalisierung ist jedoch eine Illusion, die Silicon Valley nur noch mehr Daten bringt.
Am Ende sind alle Teil einer ähnlichen Masse
Es gab tatsächlich eine Zeit, da war „Star“ nicht der Berufswunsch aller. Diese kapitalistische Gesellschaft musste hart dran arbeiten, um diese bewundernden Schreihälse, genannt Fans, heranzuzüchten. Digitale Sichtbarkeit hat dies verstärkt: Zum einen entsteht ein Wahn, wie der um Taylor Swift, die mehr Follower hat als Deutschland Einwohner. Und zu anderen eine Armee von Nachahmern, die denken, das, was bei Taylor Swift auf Instagram zu sehen ist, sei ihr Leben – und sie müssten nun auch so eines haben. Das Tragische ist: Taylor Swift hat ein Leben und tut so, als wäre dieses digitale auch das ihre. Die Nachahmer machen die Inszenierung ihres Lebens zu ihrem Leben. Ganz unentgeltlich.
Die meisten Menschen haben wohl vergessen, dass es eine Zeit gab, in der Stars locker neben einem herlaufen konnten, weil es keine Hysterie gab, weil zum Starkult mehr gehörte, als im Vorabendprogramm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens eine Rolle in einer Serie zu erhalten, die nur die eigene Großmutter nicht einschläfert. Heute muss jeder jeden fotografieren. Bei einem Schnappschuss mit Freunden muss man damit rechnen, dass er später in der Chronik von irgendwem landet.
Jene, die ein Privatleben wollen, sind Spielverderber. Jeder imitiert die Maschinerie der Stars. Wenn Ronaldo ein Selfie macht, dann imitieren Millionen Unbekannter seine Pose und sind in ihrem Selfie ein bisschen Ronaldo. Es stört sie nicht, nur Imitation zu sein. Die digitale Repräsentation sucht vor allem die Ähnlichkeit. Im Zeitalter des Narzissmus und der Hyperindividualisierung sind am Ende alle Teil einer ähnlichen Masse, aus der kaum einer herausragt. Und selbst wenn, dann nur deshalb, weil er das, was alle tun, etwas besser tut und eben nicht, weil er sein eigenes Ding dreht.
Man muss ja nichts wissen über die Handhabung von digitalen Bildrechten bei Facebook, um sich zu fragen, warum Eltern auch noch ihre Kinder dauernd ins Netz stellen. „Ins Netz“ ist dabei eine treffende Formulierung. Die Digitalisierung ist eine Spinne, in deren Netz unser Ich geraten ist: Du bist nicht, solange das, was du bist, nicht digital repräsentiert ist. Es wirkt wie die absolute Zuwendung zu sich selbst. Dabei ist es die ultimative Abwendung.
30 Dec 2016
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