taz.de -- Deutscher Außenminister besucht Türkei: Steinmeier für konstruktiven Dialog

Der Außenminister trifft in Ankara Oppositionelle, Regierungsvertreter und Erdoğan. Trotz der Differenzen gibt er sich gesprächsbereit.
Bild: Gute Miene: Außenminister Steinmeier bei Recep Tayyip Erdoğan

ISTANBUL taz | Es waren schwierige Gespräche, wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier selbst einräumte. Auf seiner ersten Station als designierter Bundespräsident gestern in der Türkei musste er einen eher unerfreulichen Termin wahrnehmen. Das Verhältnis zwischen beiden Ländern hat einen Tiefpunkt erreicht, seit die türkische Regierung massiv gegen ihre Kritiker vorgeht.

Nachdem Steinmeier am Morgen in der deutschen Botschaft Vertreter der Zivilgesellschaft empfangen hatte, die ihm über die Repression im Land berichteten, traf er seinen türkischen Kollegen Mevlüt Çavuşoğlu. Auf vorsichtige Vorhaltungen wegen der Ausschaltung von Meinungs- und Pressefreiheit keilte Çavuşoğlu gleich zurück. Er warf Steinmeier vor, Deutschland hätte sich in den letzten Monaten zum wichtigsten Rückzugsgebiet für „Terroristen“ aus der Türkei entwickelt.

Gemeint sind Journalisten wie Can Dündar, der gerade von Bundespräsident Joachim Gauck empfangen wurde, türkische Diplomaten, die nach dem Putschversuch im Juli Asyl in Deutschland beantragt haben und angebliche PKK- und Gülen-Anhänger, die in Deutschland nicht verfolgt würden.

Nach seinem Treffen mit Çavuşoğlugaben beide eine kurze Pressekonferenz, auf der die Differenzen deutlich wurden. Steinmeier betonte aber wiederholt, dass er trotzdem die Zusammenarbeit mit der Erdoğan-Regierung verbessern wolle. Am späten Nachmittag kam es noch zu einem Treffen mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan.

Dieser hatte zuletzt betont, dass er für Kritik aus Deutschland oder der EU nicht mehr empfänglich ist. Stattdessen sagte er, er erwäge, das „türkische Volk“ Anfang 2017 darüber abstimmen zu lassen, obman den EU-Beitrittsprozess beenden solle. Obwohl auch Steinmeier wissen müsste, dass mit Erdoğankeine gedeihliche Zusammenarbeit mehr möglich ist, machte er gute Miene zum bösen Spiel. Um den Flüchtlingspakt nicht zu gefährden, wies er die Forderungen der Opposition und einiger EU-Staaten zurück, Sanktionen anzukündigen, falls die Verfolgung der Opposition anhält. Immerhin traf er vor seinem Abflug noch den Abgeordneten Osman Baydemir von der kurdisch-linken HDP, die unter der Verfolgung besonders zu leiden hat.

15 Nov 2016

AUTOREN

Jürgen Gottschlich

TAGS

Frank-Walter Steinmeier
Recep Tayyip Erdoğan
Schwerpunkt Türkei
Pressefreiheit in der Türkei
WDR
Schwerpunkt Türkei
Frank-Walter Steinmeier
Recep Tayyip Erdoğan
Außenminister
Pressefreiheit in der Türkei
Recep Tayyip Erdoğan
Europäische Union
Schwerpunkt Türkei

ARTIKEL ZUM THEMA

Kurdische Journalistin freigelassen: Eine der letzten Reporterinnen

Kaum jemand berichtet noch unabhängig aus der Südost-Türkei. Nach ihrer Festnahme wurde die Journalistin Hatice Kamer nun wieder freigelassen.

Beitrittsverhandlungen mit der Türkei: EU-Parlament will Gesprächspause

PolitikerInnen aus mehreren Fraktionen sind dafür, die Beitrittsverhandlungen auszusetzen. Eine geplante Reise von EU-Parlamentariern in die Türkei wurde gecancelt.

Steinmeier wird offizieller Kandidat: Ein Präsident fürs Wir-Gefühl

CDU, CSU und SPD – alle stehen hinter dem Kandidaten Steinmeier. Nur Ex-Guantánamo-Häftling Kurnaz wartet weiterhin auf eine Entschuldigung.

Kommentar Steinmeiers Türkei-Besuch: Vermeintliche Solidarität

Die Bundesregierung will Erdoğan als Torwächter Europas halten. Steinmeiers Soli-Signale an die türkische Opposition sind eine Farce.

Möglicher Außenminister Martin Schulz: Rampensau mit Ambitionen

EU-Parlamentspräsident Schulz gilt als heißer Anwärter für das Außenministeramt. Für SPD-Chef Gabriel wäre das eine zweischneidige Besetzung.

EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei: Erdogan droht mit Referendum

Aufgrund der jüngsten Verhaftungswellen sprechen sich EU-Politiker gegen eine Aufnahme der Türkei in die Union aus. Ankara verbittet sich jegliche Einmischung.

Kommentar Steinmeier in der Türkei: Bald nur noch 'ne Luftnummer

Erstmals seit langem besucht ein deutscher Minister die Türkei. Wir müssen uns fragen: Was ist uns eine demokratische Zukunft des Landes wert?

EU-Außenminister zu Trump und Erdogan: Gewisse logische Sprünge

Die EU-Außenminister können sich weder im Verhältnis zu Donald Trump noch zu Recep Tayyib Erdogan auf eine gemeinsame Linie verständigen.

Nach HDP-Festnahmen in der Türkei: Bundestag übernimmt Patenschaften

In einem symbolischen Akt stellen sich Dutzende Bundestagsabgeordnete hinter die türkische HDP. Es ist eine Kampfansage an Erdoğan.