taz.de -- Musikmanager zur Pariser Musikszene: „Nie vergesse ich diesen Tag“

Das Bataclan steht für jugendlichen Lebensstil. Matthieu Couturier über die Musikindustrie Frankreichs ein Jahr nach den islamistischen Anschlägen.
Bild: „Le petit Cambodge“ und „Le Carillon“, zwei weitere Anschlagsziele neben dem Musikclub Bataclan

taz.am wochenende: Matthieu Couturier, im Französischen spricht man von „monter à Paris“, für eine Person, die es schafft, aus der Provinz in die Hauptstadt zu gehen, im Wortsinn also aufzusteigen. Entspricht das der Realität?

Matthieu Couturier: Ja, durchaus, Frankreich ist zentralistisch ausgerichtet, und Paris als Hauptstadt ist das Zentrum des Landes. Es ist die wichtigste Stadt. Dort finden bedeutsame Ereignisse statt. Auch, was die französische Musikindustrie anbelangt: Wer etwas reißen will, muss in Paris sein, denn es ist nicht nur die Hauptstadt, sondern auch kosmopolitisch. Wenn Bands auf Tour nach Frankreich kommen, spielen sie oft zuerst in der Hauptstadt, hier ist ein großer Markt. Manchmal gibt es Magie auch anderswo, aber man muss schon in Paris sein, wenn man in Frankreich ein Popstar werden will. Es ist Drehkreuz von europäischen, afrikanischen, lateinamerikanischen und angloamerikanischen Kulturen. Das macht es auch besonders interessant.

Wie würden Sie die Atmosphäre gegenwärtig beschreiben?

Na ja, in den letzten Tagen ist wieder sehr viel die Rede von den Anschlägen des 13. November. Wir leben nach wie vor im Ausnahmezustand. Auf den Straßen ist sehr viel Militär unterwegs, sehr viel Polizei. Ich gebe Ihnen dieses Interview im Gehen. Meine U-Bahn-Linie fährt gerade nicht wegen eines Bombenalarms. Ich habe meine Tochter zur Schule gebracht und latsche jetzt in mein Büro. Die Angst geht weiter um. Wir könnten wieder zum Ziel von Angriffen werden. Wir Pariser sind oft am Meckern, aber momentan wird toujours gemeckert. Es geht um das große Ganze, dieses Gefühl einer unbestimmten Angst. Auch wenn man die Bedrohung zwischendurch vergisst. Leben müssen wir schließlich auch noch.

Wie hat sich denn die Musikindustrie seit dem 13. November 2015 entwickelt?

Überraschenderweise hat sie Zuwächse zu verzeichnen. In den ersten Monaten nach den Anschlägen ging es steil nach unten, alle waren gelähmt. Viele Konzerte, ja ganze Tourneen wurden abgesagt, aber inzwischen hat sich die Musikwirtschaft erholt. Die Anschläge gingen gegen Frankreich als Ganzes, es ging nicht nur um ein Konzert, auch eine Kirche wurde angegriffen. Alles könnte zum Ziel werden.

Als das Bataclan in Paris angegriffen wurde und 130 Menschen getötet wurden, war aber auch der westliche Hedonismus gemeint, oder?

Das ist richtig, die Bühne des Bataclan steht für Unterhaltungskultur an sich, für jugendlichen Lebensstil. Auch Popmusik war ein Anschlagsziel. Sehen Sie, es war ein hartes Jahr für Paris, in diesem Sommer blieben die Touristen weitgehend aus, die Stadt war leergefegt, es kamen viel weniger Ausländer als sonst.

Wie hat sich die Pariser Musikszene nach den Anschlägen verhalten, wurden sie in Songs thematisiert?

Wir waren derart schockiert, dass es kaum Aktivitäten gab. Wir mussten diese Brutalität erst einmal sacken lassen. Das war so krass, da wollte niemand banales Zeug in Songs oder auf Alben von sich geben. Die Leute waren zu paralysiert, um das künstlerisch zu verarbeiten, niemand wollte auf Kosten der Opfer Musik machen.

Traditionell ist französischer Pop migrantisch geprägt, Künstler wie Acid Arab aus Paris orientieren sich am Maghreb. Ist das seit den Anschlägen verschwunden?

Im Gegenteil, der größte Hit in den letzten Monaten war „Sapé comme jamais“ von dem Rapper Maître Gims. Er thematisiert seine afrikanischen und arabischen Wurzeln im Sound und in den Reimen. Frankreich ist und bleibt Einwanderungsland und die Einwanderer bringen ihre Musik mit zu uns, wo sie sich mit anderem vermischt. Ich glaube nach wie vor, dass Pop dazu beiträgt, rassistischen Hass zu beseitigen.

Ist dieser Hass aufgrund des Anschlags auf das Bataclan wieder stärker geworden?

Ich sehe sehr viele besorgte Gesichter in Paris, aber ich stelle auch große Solidarität fest. Im Alltag haben wir alle mit dem gleichen Kram zu kämpfen, da ist die Herkunft egal.

Was verbinden Sie persönlich mit dem Bataclan?

Viele der für mein Leben bedeutendsten Konzerte fanden dort statt. Was meinen Job als Musikmanager anbelangt, war ich oft dort, um mir Künstler anzusehen. Das Bataclan war vor dem Anschlag eines der top fünf Veranstaltungsorte in der Stadt. Das wussten die Attentäter. Der Angriff auf die Redaktion von Charlie Hebdo zuvor, alles liegt in der gleichen Gegend um die U-Bahn-Station République. Auch mein Büro war da. Als ich realisiert habe, mein Viertel wird angegriffen, war das schon seltsam. Eine Schlussfolgerung daraus zu ziehen, gelingt mir bis heute nicht, dafür sind die Ereignisse zu krass. Auf jeden Fall bin ich froh, dass das Bataclan nun wieder eröffnet. Das ist auch eine Möglichkeit, sich an die Opfer zu erinnern. Wir haben ja gar keine andere Möglichkeit, als weiterzumachen, kein Terror kann uns dabei aufhalten. Wir sind froh, dass wir am Leben sind.

Was ist für die Zukunft am vordringlichsten?

Wir dürfen nie vergessen, was am 13. November 2015 geschah. Ich zum Beispiel habe einen engen Freund verloren. Nie werde ich diesen Freitagabend vergessen, diese schreckliche Gewissheit, wie sie sich dann an jenem Wochenende herausgestellt hat. Menschen haben unsere Kultur attackiert, das vergeben wir ihnen nicht. Gedenken ist daher wichtig, aber auch das Weitermachen. Sie werden nicht gegen uns gewinnen, indem sie versuchen, uns einzuschüchtern. Klar, das ist hart, aber wir machen weiter.

13 Nov 2016

AUTOREN

Julian Weber

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