taz.de -- Terrorverdächtiger aus Chemnitz: Von drei Landsleuten überwältigt

Drei Syrer übergeben den Terrorverdächtigen Jaber A. in Leipzig gefesselt der Polizei. In seiner Wohnung findet die Sprengstoff – und geht von „IS-Kontext“ aus.
Bild: Auf der Suche nach dem Verdächtigen Dschaber al-Bakr ging diese Scheibe zu Bruch

Wenn die Schutzausrüstung der Polizeibeamten nicht so schwer wäre und damit einen Sprint unmöglich machen würde, hätte der terrorverdächtige Syrer Jaber A. möglicherweise schon am Samstagmorgen gestellt werden können. Da verließ nämlich eine – bis heute nicht identifizierte – Person den von der Polizei verdeckt observierten Plattenbau im Chemnitzer Heckertviertel. Der Mann ergriff trotz Rufen und Warnschuss die Flucht.

Eine Verfolgung sei in dieser Ausrüstung, die über 30 Kilo wiegt, unmöglich gewesen, ein gezielter Schuss wegen der Gefährdung von Passanten auch, sagte am Montag der Präsident des sächsischen Landeskriminalamtes, Jörg Michaelis.

Etwa um Mitternacht zwischen Sonntag und Montag kamen syrische Landsleute des wegen Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags verdächtigen A. der sächsischen Polizei zu Hilfe. Dass sie am Leipziger Hauptbahnhof von ihm angesprochen und um ein Nachtquartier gebeten wurden, wie Spiegel Online schreibt, wollte das Landeskriminalamt nicht bestätigen.

Fest steht aber, dass ein Syrer in der Nacht auf dem Polizeirevier Leipzig Südwest erschien und mitteilte, der Gesuchte befinde sich in seiner Wohnung. Gemeinsam mit zwei Landsleuten hatte der Mann A. überwältigt und gefesselt, die Polizei musste ihn dann nur mitnehmen. Weitere Informationen über die drei Männer wollte der LKA-Chef nicht mitteilen, um diese zu schützen. Der 22-jährige A. sei unbewaffnet gewesen, so Michaelis. Am Montag wurde A. einem Haftrichter am Amtsgericht Dresden vorgeführt.

Derselbe Sprengstoff wie in Paris und Brüssel

„Vorgehensweise und Verhalten des Verdächtigen sprechen derzeit für einen IS-Kontext“, sagte der LKA-Chef, ohne Details zu nennen. Ein Indiz ist der Sprengstoff, der in A.s Wohnung in Chemnitz gefunden wurde: 1,5 Kilogramm TATP. Dieser extrem empfindliche und gefährliche Sprengstoff wurde auch bei Anschlägen in Paris und Brüssel verwendet. Die Polizei stellte in der Wohnung auch Zünder und weitere Materialien sicher, die für die Herstellung von Sprengstoffwesten notwendig sind.

Nachdem sich erste Hinweise auf Terrorpläne A.s, die das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst Mitte September hatten, verdichteten, gaben die Behörden die Informationen am Freitag an die sächsische Polizei weiter. Die Befürchtung: A. könnte kurz davor sein, eine Sprengstoffweste fertigzustellen oder er habe dies bereits getan.

Da die Beamten zwar A.s Adresse kannten, aber nicht wussten, in welcher Wohnung des Plattenbaus sich A. aufhielt, habe man sich für einen Zugriff außerhalb des Gebäudes entschieden, so Michaelis. Nach der Evakuierung von 80 Bewohnern und der Umstellung auf eine offene Aktion wurde die Wohnung am Samstagmittag schließlich gestürmt. Die Polizei traf niemanden mehr an.

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft (BAW), die die Ermittlungen inzwischen an sich gezogen hat, ist bislang nichts über ein konkretes Anschlagsziel bekannt. Medien hatten mit Bezug auf Ermittler berichtet, dass dies Berliner Flughäfen sein könnten.

A. war als Flüchtling anerkannt

A., der in der Nähe von Damaskus geboren wurde, kam im Februar 2015 nach Deutschland und ist als Flüchtling anerkannt. Laut Bundesanwaltschaft hat er im Internet nach Anleitungen zur Herstellung von Sprengstoffvorrichtungen und Ausrüstungsgegenständen für den Dschihad gesucht: A. habe „überaus professionell agiert“.

Auch sein mutmaßlicher Komplize, der 33-jährige Syrer Khalil A., ist als Flüchtling anerkannt. Er mietete die Wohnung in Chemnitz an und soll die zur Herstellung von Sprengstoff benötigten Materialien im Internet bestellt zu haben.

Rund 700 Polizeibeamte waren seit Freitagnacht ununterbrochen im Einsatz. „Wir sind geschafft, aber überglücklich“, twitterte die sächsische Polizei nach der Festnahme. Innenminister Markus Ulbig (CDU) sprach von einem „großartigen Erfolg, der zeigt, dass die Sicherheitsbehörden von Stadt und Land erfolgreich zusammenarbeiten“. Die neuen Medien hätten bei der Fahndungsarbeit eine wichtige Rolle gespielt. Negative – sprich rassistische – Kommentare auf die Facebook- und Twitter-Posts der sächsischen Polizei habe es nur in etwa zehn Prozent der Fälle gegeben.

10 Oct 2016

AUTOREN

Michael Bartsch
Sabine am Orde

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