taz.de -- Die Wahrheit: Der Äquatormann

Wie steht es in der ecuadorianischen Botschaft in London wirklich um Julian Assange? Ein Hausbesuch mit Folgen.
Bild: Der weltgrößte Daten-Junkie ist in sich versunken, nach Jahren im ecuadorianischen Exil

Auf dem weitläufigen Gelände der ecuadorianischen Botschaft in London herrscht emsige Betriebsamkeit. Die Äquatorlinie, die seit einiger Zeit quer durch den Küchentrakt des viktorianischen Anwesens verläuft, muss nach jahrelangem Hin und Her final festgezurrt werden.

Seit dem Einzug des WikiLeaks-Sprechers Julian Assange im Jahr 2012 war die 30 Zentimeter breite und 14 Millimeter dicke Linie ins Trudeln geraten. Intensive Recherchebohrungen des passionierten Trockenshampooanwenders Assange hatten diese tektonische Verschiebung auf dem ohnehin stark vulkanösem Terrain der Botschaft begünstigt.



Hemdsärmelig und mit einem tragischen Grauschleier im Gesicht packt der 45-Jährige höchstselbst an vorderster Äquatorlinie an. „Es wimmelt überall an Informationen aller Art, die gehören kanalisiert und dann der Öffentlichkeit öffentlichkeitswirksam präsentiert. Das verlangt die moderne Informationsgesellschaft von uns Daten-Maulwürfen.“

Assange ist ganz in seinem hybriden Element. Nur wenige, algorythmisch verlesene Journalisten der Nord- und Südhalbkugel, darunter eine Vertreterin der Wahrheit, dürfen dem Event live hier in London am neuen Äquator beiwohnen. Der Rest sowie die Ost- und Westhalbkugel des Globus ist per Skype zugeschaltet.

An der Image-Front

„Confidence becomes you“, ruft Assange mit belegter Stimme in die elektrisierte Runde, Selbstvertrauen bekommt dir – der Australier mit EDV-Diplom hat dreist das hehre Motto der weltweiten Tupperware-Bewegung gekapert und sich damit auch noch an die vorderste Image-Front von Schüsseln und Töpfchen gesetzt. Diesen Fakt tweetet Assange zeitgleich, während er weiter die Äquatorlinie zusammen mit dem molligen Gatten der ecuadorianischen Botschafterin zurechtruckelt.

„Unser Gast ist überaus erfolgreich und aktiv in der Ausrichtung von Tupperware-Partys auf dem Botschaftsgelände“, raunt uns der Pressesprecher der „Villa Lama“ zu. Dann schenkt Don Publico Aquavit nach, der in Folge des konstanten Überqueren der Äquatorlinie vor Ort als einer der schmackhaftesten Schnäpse weltweit gilt.



Durch die vielen Treuepunkte, die Assange auf seinen exklusiven Tupperware-Partys mit vorbildlichen Umsätzen erzielt, schafft es der Daten-Junkie immer wieder, an besonders brisante, unter der Erdkruste lagernde Informationen, zu gelangen. Das zumindest haben wir schon vor Beginn der Äquator-PK von Hintergrund-Zuträgern in den gigantischen Lama-Stallungen der Botschaft zwischen Heu und noch mehr Aquavit ganz alleine herausgefunden.



Die News-Würfel sind gefallen

Angesprochen auf seine jüngsten, fulminant unwichtigen Enthüllungen in der Causa Türkei und die zu erwartenden Aufdeckungen in der Causa Clinton, huscht ein apokalyptisches Grinsen über die durch die stickige Botschaftsluft stetig verfallenden Gesichtszüge Assanges. „Let me put it like this – lassen Sie es mich folgendermaßen einlochen – gewürfelt wird nicht mehr bei Clinton vs. Trump, denn die News-Würfel sind längst gefallen.“

Jetzt stellen die versammelten Medien erneut und alert Objektive scharf, die Wahrheit-Redakteurin spitzt ihren Bleistift, um hier an der Äquatorlinie das finale Statement des Wikileaks-Sprechers, der Wahrheit entsprechend aufzuzeichnen. 

Doch, was ist das?

Die just festgezurrte Äquatorlinie quer durch den Küchentrakt der ecuadorianischen Botschaft bricht auf, Assange stolpert, Aquavit umspült ihn. Plötzlich ist der WikiLeaks- und Tupperware-Guru weg, vom Erdboden verschwunden. Betretenes Schweigen, Ende der Live-Schalte. Irgendwo im Off spuckt ein Lama.

7 Oct 2016

AUTOREN

Harriet Wolff

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