taz.de -- 25. Staatsjubiläum der Ukraine: Unabhängig – aber nicht friedlich

Die Ukraine hat ihre Loslösung von der Sowjetunion mit einer großen Militärparade gefeiert. Doch die Freude ist gedämpft.
Bild: Nach den Soldaten: Hinterbliebene von Opfern des Krieges im Osten der Ukraine gehen zum Maidan

Kiew taz | Nationalfeiertag in der Ukraine: Vor 25 Jahren trennte sich das Land von der Sowjetunion und wurde unabhängig. Kurz vor der großen Militärparade drängen sich am Mittwoch in Kiew die Passanten unweit des Maidan-Platzes. Sicherheitskräfte kontrollieren Pässe und Rucksäcke. Auf beiden Seiten der Straße warten die Schaulustigen hinter den Militärs, die sich zum Spalier aufgereiht haben. Sie schauen nach dem Präsidenten aus, doch zunächst fährt nur der Verteidigungsminister mit seinem Wagen langsam an seiner Truppe vorbei.

4.000 Soldaten, Panzer und Raketen hat die Regierung zu dieser Parade aufgeboten. Unter den Besuchern ist viel Prominenz: Dazu zählen die drei früheren Staatsoberhäupter des Landes, christliche und muslimische Würdenträger.

„Ich bin gegen die Parade“, meinte ein Arbeiter wütend. Er sei nur seiner Frau zuliebe hergekommen. „Es gibt nichts, was wir heute zu feiern haben. Hier lassen sich nur Politiker und Militärs feiern.“

Pünktlich um 10 Uhr trifft Präsident Petro Poroschenko mit seinem Wagen auf der menschenleeren Straße ein. Zuvor hat er mit anderen Vertretern von Staat und Politik am Denkmal des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko Blumen abgelegt. Nach einem Rapport von Verteidigungsminister Stepan Poltorak nimmt er seinen Platz am Rednerpult mitten auf dem Maidan und in unmittelbarer Nähe des polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda ein.

Poroschenko beschwört in seiner Rede an die anwesenden Soldaten und Gäste immer wieder Patriotismus, Vaterland und die russische Aggression. Er ruft zu einer Schweigeminute für die Opfer der mutigen Kämpfer der Anti-Terror-Operation auf, die der russischen Aggression zum Opfer gefallen seien. Die Ukraine habe sich für einen Weg nach Europa entschieden, und dieser Weg, so der Präsident, sei unumkehrbar.

Im Osten der Ukraine bleibt es sehr gefährlich

Mit ihrer Unabhängigkeit habe die Ukraine Freiheit und Demokratie erlangt. Sie habe sich gelöst vom sowjetischen Denken. „Wir haben den Mut gehabt, uns konsequent von der Vergangenheit zu lösen“, so Poroschenko über die Anfangszeit der ukrainischen Unabhängigkeit in den 90er Jahren. Man sei es leid gewesen, immer nach Moskau blicken zu müssen, an den Mythos glauben zu müssen, dass man Brüder sei.

Aus dieser Starre habe sich die Ukraine gelöst, erklärt der Präsident weiter. Die Ukraine habe eine europäische Perspektive, heute gebe es eine echte Mittelklasse in der Gesellschaft. Und die Garantie dafür, dass das Land seinen Weg gehen könne, seien die ukrainischen Streitkräfte. „Ruhm den Streitkräften – Ruhm dem ukrainischen Volk – Ruhm der Ukraine“, ruft er der Menge zu.

„Ich sehe diese Feierlichkeiten und das viele Kriegsgerät mit großer Besorgnis“, sagt eine Bewohnerin des – seit 2014 von Separatisten gehaltenen – Lugansk im Osten der Ukraine. Insbesondere Flugzeuge und Hubschrauber, die im Rahmen der Unabhängigkeitsfeierlichkeiten zu sehen gewesen seien, beunruhigten sie, so Inna aus Lugansk. Zu gut noch könne sie sich an die Luftangriffe auf ihre Stadt im Sommer 2014 erinnern.

Die Berichte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in den letzten Tagen und Wochen sprechen eine deutliche Sprache dazu, wie gefährlich die Situation in den von Separatisten gehaltenen Bezirken im östlichsten Teil der Ukraine weiterhin ist. Täglich ist von mehreren hundert Explosionen in Donezk die Rede. Mitunter stellt die OSZE hier an einem Tag über 500 Explosionen fest.

Der amtierende OSZE-Vorsitzende und deutsche Außenminister Walter Steinmeier hat für den 1. September ein weiteres Treffen der Außenminister der OSZE in Potsdam angekündigt. Dort solle über eine Lösung des Ukraine-Konflikts gesprochen werden, melden ukrainische Medien. Im Rahmen der Unabhängigkeitsfeierlichkeiten ist nun immer wieder die Rede von der Revolution auf dem Maidan-Platz Anfang 2014.

Was in der Ukraine passiert sei, sei einzigartig im gesamten Raum der früheren UdSSR, erklärt an diesem Unabhängigkeits-Feiertag die Maidan-Aktivistin Lidia der taz. Sie könne sich erinnern, wie furchtsam ihre Eltern gegenüber Beamten und Politikern gewesen seien. „Der Maidan hat uns diese Furcht genommen“, so die Fotografin.

Ihr 45-jähriger Kollege Vsevolod, Besitzer eines Fotogeschäfts, kann den jüngsten Entwicklungen wenig abgewinnen. Er leidet an einer Nierenerkrankung, muss jede Woche zweimal zur Dialyse und weiß nicht, wie er das bezahlen soll. „So schlecht wie jetzt ist es uns noch nie gegangen“, sagt er. Die Sozialleistungen würden immer mehr gekürzt. „Sehen Sie sich mein Geschäft an. Keine Kunden. In dieser wirtschaftlichen Situation haben die Leute kein Geld für Kameras.“

24 Aug 2016

AUTOREN

Bernhard Clasen

TAGS

taz на русском языке
Ukraine
Petro Poroschenko
Andrzej Duda
Unabhängigkeit
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland
Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
taz на русском языке
Schwerpunkt Atomkraft
Frank-Walter Steinmeier
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland

ARTIKEL ZUM THEMA

Gipfeltreffen mit Putin in Berlin: Gedämpfte Erwartungen

Bringt die nächste Verhandlungsrunde mit Russlands Präsident den Donbass einer friedlichen Lösung näher? Die Ukrainer sind skeptisch.

Attentat in der Ukraine: „Motorola“ kämpft nicht mehr

Arsen Pawlow, Kommandeur der prorussischen Kämpfer in der Ostukraine, wurde getötet. Die Täter könnten aus den eigenen Reihen stammen.

Kommentar Waffenruhe in der Ukraine: Zeit für Zugeständnisse

Der Friedensprozess wird weiter angeschoben. Doch mit Russland muss genauso verhandelt werden wie mit den Aufständischen.

Krise in der Ukraine: Neue Hoffnung auf Frieden

In Kiew wollen die Außenminister Steinmeier und Ayrault den Friedensprozess für die Ostukraine in Schwung bringen. Auch Moskau sendet positive Signale.

Neuer Waffenstillstand in der Ukraine: Bisher zwölf Stunden Ruhe

Im Osten der Ukraine gilt seit Donnerstag ein neuer Waffenstillstand. Russland und die Ukraine hatten sich zuvor auf eine Feuerpause geeinigt.

Unabhängigkeitstag in der Ukraine: Langsam nach vorn

Vor 25 Jahren wurde die Ukraine unabhängig von der Sowjetunion. Was hat sich seitdem verändert, in der Poltik, im Alltag? Eine Bilanz.

Atomkraft in der Ukraine: Uran aus dem Westen

Der Brennstoff für die ukrainischen Atomkraftwerke kommt nicht mehr aus Russland. Technisch ein Problem, so Experten.

Steinmeier trifft Amtskollege Lawrow: Keine Waffenruhe für Aleppo

In Sachen Ukraine ist der deutsche Außenminister nach dem Treffen mit seinem russischen Kollegen optimistisch. Doch beim Thema Syrien bleibt Lawrow hart.

Krim-Krise im UN-Sicherheitsrat: Alle einmal durchatmen

Die Spannungen auf der Krim nehmen zu. Im UN-Sicherheitsrat beharren Russland und die Ukraine auf ihren Positionen. Die USA mahnen zur Ruhe.

Kommentar Konflikt auf der Krim: Minsk-Prozess geopfert

Der Streit zwischen Russland und der Ukraine zeigt: Friedensverhandlungen machen keinen Sinn mehr. Eine letzte Hoffnung bleibt aber noch.