taz.de -- Kommentar UNO-Flüchtlingskonferenz: Beschämendes Versagen
Erbärmlicher Verlauf, klägliche Ergebnisse: Die UNO-Konferenz zu Flüchtlingen erinnert an eine Konferenz vor dem 2. Weltkrieg.
Die Genfer UNO-Konferenz zur „solidarischen Bewältigung“ der größten humanitären Krise seit dem 2. Weltkrieg erinnerte in ihrem erbärmlichen Verlauf und ihrem äußerst kläglichen Ergebnis an die letzte Flüchtlingskonferenz vor dem 2. Weltkrieg.
Im Juli 1938 kamen in Evian-les-Bains, auf der französischen Seite des Genfer Sees, 32 Mitgliedsstaaten des UNO-Vorläufers Völkerbund zusammen, um über die Aufnahme der in Nazideutschland verfolgten Juden in ihre Länder zu beraten. Am Sitz des Völkerbundes in Genf konnte man nicht tagen, weil die angeblich neutrale, tatsächlich aber eng mit Nazideutschland verbandelte Schweiz Schwierigkeiten mit dem Hitlerregime befürchtete.
Die Konferenz scheiterte völlig. Einige Delegationen erklärten, ihr Land sei grundsätzlich kein Einwanderungsland, andere wiesen darauf hin, dass sie lediglich den Transit von jüdischen Flüchtlingen zulassen könnten; im Übrigen würde eine weitere Zuwanderung lediglich dem Antisemitismus weiteren Auftrieb geben.
Die damalige Konferenzbeobachterin und spätere israelische Ministerpräsidentin Golda Meir notierte in ihrem Tagebuch: „Dazusitzen, in diesem wunderbaren Saal, zuzuhören, wie die Vertreter von 32 Staaten nacheinander aufstanden und erklärten, wie furchtbar gern sie eine größere Zahl Flüchtlinge aufnehmen würden und wie schrecklich Leid es ihnen tue, dass sie das leider nicht tun könnten, war eine erschütternde Erfahrung. […] Ich hatte Lust, aufzustehen und sie alle anzuschreien: Wisst ihr denn nicht, dass diese verdammten ‚Zahlen‘ menschliche Wesen sind“.
Ähnliches ließe sich über die Konferenz vom Mittwoch notieren. 103 der 193 UNO-Mitgliedsstaaten hatten erst gar keine Vertreter nach Genf geschickt. Und die Regierungsdelegationen aus den 90 teilnehmenden Staaten nutzen ihre Reden überwiegend, um ihre Weigerung zur Aufnahme weiterer syrischer Flüchtlinge zu rechtfertigen. Statt der 1938 in Evian geäußerten Sorge vor wachsendem Antisemitismus musste dabei häufig die Angst vor islamischer Überfremdung als Ausflucht herhalten.
Statt der dringend erforderlichen und von Generalsekretär Ban Ki Moon geradezu flehentlich erbetenen Zusagen für die Übernahme von 350.000 syrischen Flüchtlingen aus den vier bisherigen, völlig überlasteten Hauptaufnahmeländern Libanon, Jordanien, Irak und Türkei kamen von den teilnehmenden 90 Staaten lediglich Absichtserklärungen für die Aufnahme von knapp 7.000 Menschen. Das ist ein zutiefst beschämendes Versagen fast sämtlicher 193 Mitgliedsstaaten der Weltorganisation.
31 Mar 2016
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