taz.de -- Syrische Flüchtlinge: Diese Kinder suchen eine neue Heimat
Die UN appellieren auf einer Konferenz an ihre Mitgliedsstaaten, gestrandeten Syrern ein Zuhause zu geben. Doch die meisten winken ab.
Genf taz | Fast fünf Millionen SyrerInnen sind seit Beginn des Krieges aus ihrem Heimatland geflohen. Weitere acht Millionen wurden innerhalb Syriens vertrieben. Insgesamt 13,5 Millionen SyrerInnen – über 60 Prozent der Vorkriegsbevölkerung – sind damit inzwischen abhängig von humanitärer Versorgung.
Diese größte humanitäre Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges war am Mittwoch Thema einer internationalen Konferenz in Genf. Eindringlich appellierten dort UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, Filippo Grandi, an die anwesenden Regierungsvertreter von 90 der 193 UN-Mitgliedsstaaten, mehr Menschlichkeit zu beweisen.
Im Rahmen eines „humanitären Umsiedlungsprogramms“ sollen bis Ende 2018 wenigstens 480.000 syrische Flüchtlinge aus dem Libanon, aus Jordanien, dem Irak und der Türkei in Drittländern aufgenommen werden. Die „größte Flüchtlingskrise unserer Zeit“ erfordere eine „exponentielle Zunahme der globalen Solidarität“, erklärte Ban Ki Moon. Doch Beobachter rechneten mit Zusagen zur Aufnahme von maximal 20.000 weiteren Menschen. Das wären dann höchstens insgesamt 190.000, die auf eine neue Heimat hoffen könnten. Am Ende waren es noch weniger (siehe Kasten).
480.000 Menschen, das sind gerade mal 10 Prozent der 4,8 Millionen Flüchtlinge, die in den letzten fünf Jahren Aufnahme in den völlig überlasteten vier Nachbarländern Syriens gefunden haben. Diese 480.000 gelten als „besonders verletzliche Flüchtlinge“: Alte und Kranke, Kinder, die im Krieg ihre Eltern verloren haben, Verwundete oder durch Krieg, Vertreibung und Flucht schwer traumatisierte Personen.
Bereits seit September 2013 appelliert das UNHCR an die Mitgliedsstaaten, durch die Aufnahme syrischer Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten Syriens diese Länder zu entlasten. Doch bis zum 22. März dieses Jahres erhielt das UN-Flüchtlingshilfswerk von den 193 UN-Mitgliedsstaaten nur Zusagen für die Aufnahme von gerade mal 170.000 Menschen.
Oxfam und andere Nichtregierungsorganisationen beziffern die Summe der tatsächlichen Zusagen sogar auf nur knapp 130.000. Denn einige Staaten hätten ihre Zusagen an unerfüllbare Bedingungen geknüpft oder einmal gemachte Zusagen wieder zurückgezogen. Oxfam ruft deshalb insbesondere die reichen Staaten dazu auf, bis zum Jahresende die Aufnahme eines „fairen Anteils“ der 480.000 besonders verletzlichen Flüchtlinge verbindlich zuzusagen.
Diesen „fairen Anteil“ berechnet die Hilfsorganisation in einer am Dienstag veröffentlichen Studie nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der potenziellen Aufnahmeländer. Nach diesem Berechnungskriterium hat Norwegen sein Soll bereits mit 249 Prozent übererfüllt. Danach folgen Kanada mit 239 Prozent, Deutschland (114 Prozent) und Australien.
Vier weitere Länder haben mit ihren bisherigen Zusagen wenigstens mehr als die Hälfte ihres „fairen Anteils“ übernommen: Finnland mit 85 Prozent, Island (63) sowie Schweden und Neuseeland mit je 60 Prozent.
Die Schlusslichter unter den reichen Industriestaaten des Westens bilden die USA und Italien mit jeweils 7 Prozent vor Frankreich und den Niederlanden (je 4 Prozent) und Japan. Die Regierung in Tokio hat bislang überhaupt keine Zusage für die Aufnahme gegeben. Dasselbe gilt für China, Russland sowie Saudi-Arabien und die anderen fünf reichen Ölstaaten am Persischen Golf.
Allerdings bedeuten die Zusagen für die Aufnahme von knapp 130.000 besonders verletzlichen syrischen Flüchtlingen keineswegs, dass diese Menschen wirklich aufgenommen wurden. Tatsächlich konnten seit September 2013 von den 4,8 Millionen syrischen Flüchtlingen im Libanon, in Jordanien, Irak und der Türkei nur 67.100 – oder ganze 1,39 Prozent – in Drittstaaten umgesiedelt werden. Das bedeutet: Weit über vier Millionen Menschen müssen weiter hoffen, dass sich für sie ein Aufnahmeland findet.
31 Mar 2016
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Sie sollen für Stabilität in dem arabischen Land sorgen: 16 Schützenpanzer hat die Verteidigungsministerin am Sonntag der jordanischen Armee ausgehändigt.
Der EU-Ratspräsident erwartet ein stärkeres finanzielles Engagement der Industriestaaten in der Flüchtlingskrise. Auf große Unterstützung kann er nicht hoffen.
Norwegen, Australien, Frankreich, China – vier Länder mit unterschiedlicher Aufnahmebereitschaft.
Erbärmlicher Verlauf, klägliche Ergebnisse: Die UNO-Konferenz zu Flüchtlingen erinnert an eine Konferenz vor dem 2. Weltkrieg.
Syriens Staatschef will Rebellen in eine Übergangsregierung einbinden. Zentraler Streitpunkt bleibt aber sein Rücktritt – dazu äußert er sich nicht.
Mehr als 11.000 Flüchtlinge harren weiter an der griechisch-mazedonischen Grenze aus. Sie klammern sich an immer neue falsche Gerüchte.
Innenminister de Maizière plant ein Gesetz, das Integrationsverweigerer härter sanktioniert. Dabei lässt er wichtige Fragen ungeklärt.
Einmal mehr haben das syrische Assad-Regime und sein russischer Verbündeter ihre Karten klug ausgespielt. Die Botschaft ist klar.