taz.de -- Europa und die Flüchtlingsfrage: Griechenland will kein Lager sein
Der Kontinent zerlegt sich: Nach dem Treffen der Westbalkan-Staaten kritisiert Deutschland „Alleingänge“ und Luxemburg warnt vor „Anarchie“.
Berlin taz | Auf dem Treffen der EU-Innenminister am Donnerstag in Brüssel prallten die Fronten unversöhnlich aufeinander. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte vor „Anarchie“ in Europa und stellte resigniert fest: „Wir haben keine Linie mehr.“
Das ist noch freundlich ausgedrückt. Während Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Durchhalteparole ausgibt, bis zum nächsten EU-Gipfel mit der Türkei in zehn Tagen „alle Kraft“ auf den Schutz der EU-Außengrenzen zu legen und „nationale Alleingänge“ bis dahin zu unterlassen, hatte Österreich nur einen Tag zuvor bereits Fakten geschaffen. Auf seiner umstrittenen „Westbalkan-Konferenz“ hatte es sich mit neun weiteren Ländern auf stärkere Grenzkontrollen verständigt. Am gleichen Tag kündigte Ungarn an, sich sein striktes Nein zur Aufnahme von Flüchtlingskontingenten von seiner Bevölkerung per Referendum bestätigen lassen.
Der Affront richtet sich nicht nur gegen Merkel, die um eine gemeinsame europäische Lösung ringt, sondern auch gegen Griechenland, das mit den Flüchtlingen alleingelassen wird. Dessen Premier Alexis Tsipras reagierte prompt. Vor dem Parlament in Athen drohte er bereits am Mittwoch mit einer [1][Blockade der EU]. „Wir werden es nicht akzeptieren, dass sich unser Land in ein Lager für menschliche Seelen verwandelt“, sagte er den Abgeordneten.
Am Donnerstag legte der griechische Vize-Innenminister Ioannis Mouzalas in Brüssel nach: „Griechenland wird es nicht hinnehmen, Europas Libanon zu werden.“ Auf einseitige Maßnahmen anderer EU-Länder werde es ebenfalls mit einseitigen Maßnahmen reagieren. Kurz darauf wurde bekannt, dass Athen am Donnerstag seine Botschafterin aus Österreich zurückgerufen hat.
Am 7. März will die EU mit der Türkei gemeinsame Maßnahmen beschließen, um die Flüchtlingsfrage zu bewältigen. Bis dahin müsse die Zahl der Menschen, die über die Schengen-Außengrenze nach Griechenland kämen, allerdings deutlich reduziert und die Grenze besser geschützt werden, sagte de Maizière. Andernfalls bräuchte es „andere gemeinsame europäisch koordinierte Maßnahmen“. Auf die Frage, welche dies sein könnten, antwortete er nur: „Das sehen wir dann.“ Mit seiner Amtskollegin aus Österreich, Mikl-Leitner, sei er sich aber einig, dass die Zeit des „Durchwinkens“ ein Ende haben müsse.
Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) bezeichnete den 7. März ebenfalls als „entscheidend“. Wenn es gelänge, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren, werde es in der EU auch mehr Bereitschaft für eine gerechte Verteilung geben, gab er sich zuversichtlich. Wenn alle Länder einseitig ihre Grenzen dicht machten, bliebe Griechenland als letztes Glied in der Kette dagegen auf der Flüchtlingsfrage sitzen, sagte Altmaier am Donnerstag bei einer DIHK-Veranstaltung in Berlin. Auch Luxemburgs Migrationsminister Asselborn warnte davor, die griechisch-mazedonische Grenze dicht zu machen und Griechenland als „Blinddarm“ zu sehen.
Bei der Sitzung der Innenminister in Brüssel standen auch die Pläne für einen neuen europäischen Grenz- und Küstenschutz auf dem Programm, der mehr Kompetenzen erhalten soll, als sie die Grenzschutzagentur Frontex jetzt schon besitzt. Umstritten ist, dass die neue Behörde notfalls auch gegen den Willen eines Mitgliedstaats eingreifen soll.
In der Nacht zu Donnerstag hatte die Nato [2][Details des Einsatzes] beschlossen, mit dem ihre Schiffe die Boote der Schleuser im Mittelmeer stoppen sollen. Die Niederlande, die derzeit die Ratssitzungen der EU leiten, drücken aufs Tempo und wollen die Gründung der neuen EU-Grenzschutzagentur bis Ende Juni abschließen, damit die Küstenwache schon im Sommer die Arbeit aufnehmen kann.
25 Feb 2016
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