taz.de -- Kommentar Fluchtpläne: Kaltes Kalkül
Tausende Menschen sitzen in Griechenland fest. Es sind Bilder, die von Gegnern der Merkel’schen Asylpolitik ganz bewusst erzeugt werden.
Sie träumen vom großen Signal. Die Gegner von Angela Merkels Willkommenspolitik hoffen auf Botschaften und Bilder, die Schutzsuchende von Afghanistan bis Syrien dazu bringen, Deutschland aus ihren Fluchtplänen zu streichen. Erst haben sie – von Orbán bis Seehofer – daran gearbeitet, dass die Bundeskanzlerin lauthals widerruft, dass sie abschwört. Sie tat es nicht.
Dann wurde auf Verschärfungen von Asylgesetzen gedrängt, damit die Flüchtlinge ihr Ziel ändern. Sie kamen trotzdem. Aber diese Woche hat ein abgeschmacktes Vorhaben Gestalt angenommen, das endlich das starke Gegenbild erzeugen soll: Griechenland als Flüchtlingslager.
Österreich, Bulgarien und acht Westbalkanstaaten haben in Wien verabredet, ihre Grenzen so undurchlässig wie möglich zu machen, bis hinunter an die mazedonische Grenze. Nach Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks haben seit Jahresbeginn 2016 mehr als [1][101.000 Flüchtlinge aus der Türkei] nach Griechenland übergesetzt.
Nun werden viele Menschen an den Grenzen im Norden des Landes stecken bleiben. Mazedonien ist fast dicht, Bulgarien will Soldaten an seine Grenze befehligen, und auch Albanien war bei der Konferenz in Wien dabei, als sie ausbaldowert wurde, die Griechenlandoption.
Diese Option unterscheidet sich vom Lösungsversuch, um den Merkel noch immer kämpft. Sie will mit der Türkei zusammenarbeiten. Die soll Flüchtlinge im eigenen Land an der Weiterreise in die EU hindern. Menschen, die es schon nach Griechenland geschafft haben, sollen in die Türkei zurückkehren. Die EU beziehungsweise Deutschland zahlt, verspricht den Türken Visa-Erleichterungen und fliegt eine noch offene Zahl von Flüchtlingen zu sich.
Viel Platz in der Türkei
Zugegeben, diese privilegierte Partnerschaft mit Ankara ist schmutzig. In der Türkei ist die Polizeigewalt exzessiv, die Pressefreiheit eingeschränkt. Und Erdoğan führt Krieg gegen die Kurden. Aber der Türkeiplan hat auch Vorteile: Der Weg der Menschen nach Europa führt nicht über das Mittelmeer, wo er teuer beginnt und oft tödlich endet. Und die Türkei bietet schlicht mehr Platz als Griechenland, das nur ein Sechstel so groß ist.
Genau darin aber sehen jene einen Vorteil, die den Flüchtlingsstau in Griechenland vorsätzlich herbeiführen wollen. Viele Menschen auf engem Raum. Wie in den Lagern im Libanon. Die Bilder sollen um die Welt gehen: Liebe Schutzsuchende, so wird es euch in der EU ergehen. Bleibt weg!
Solche Schockbilder würden den Regierungen von Österreich, Bulgarien und den Balkanstaaten gut ins Konzept passen. Und den Gegnern der offiziellen Berliner Flüchtlingspolitik, die in den Unionsparteien und deutschen Behörden sitzen, gleich mit. Weil Merkel Kanzlerin ist, kann diese Gruppe bisher nur laut schimpfen, verdeckt obstruieren oder im Stillen ausarbeiten, was Deutschland tun kann, wenn der Türkeiplan scheitert und die ersehnte Griechenlandoption greift.
Merkels Wir-schaffen-das
Die Fluchtbewegung war für sie stets die Folge eines unsäglichen Merkelmalheurs, ausgelöst im vergangenen Spätsommer: Ist ihr ganz schön was rausgerutscht mit dem „Wir schaffen das“. Hat sie ein paar Selfies zu viel geknipst. Und schwups, stand die Million am Münchner Hauptbahnhof.
Diese Sicht ist Unfug, weil Krieg und Verfolgung gerade in historischem Ausmaß stattfinden und nicht auf dem Handy einer Kanzlerin zusammengesimst werden. Aber viele von Merkels Gegnern denken eben so.
Flüchtlinge als Signal gegen Flüchtlinge – dieser Ansatz instrumentalisiert nicht nur Menschen in Not, sondern auch Griechenland. Dass man dem dann überfüllten EU-Staat selbstverständlich großzügig Nothilfe zukommen lassen würde, gehört zum kalten Kalkül. Griechenland wird hier – schon wieder – zum Objekt gemacht. Aber diesmal hat Ministerpräsident Alexis Tsipras Merkel nicht gegen sich, sondern auf seiner Seite. Vielleicht ist diese Kombination dann doch schlagkräftiger, als die Orbáns und Seehofers denken.
27 Feb 2016
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