taz.de -- Konflikt in der Türkei: Kurden setzen auf Autonomie

Unter dem Druck der Armee nähert sich die kurdisch-linke Partei HDP der PKK an. Präsident Erdoğan sieht darin Verrat an der Republik.
Bild: Für die HDP gehen die Zeiten der freundlich bunten Wimpel zu Ende.

Istanbul taz | Mit Demonstrationen und Großveranstaltungen im Westen des Landes will die kurdisch-linke HDP in den kommenden Tagen ihrer Forderung nach Autonomie für die kurdischen Gebiete eine größere Akzeptanz verschaffen. Ausgangspunkt dieser an sich schon alten Debatte ist eine große kurdische Konferenz, die am Sonntag vor einer Woche in Diyarbakır stattgefunden hatte. Mehrere kurdische Dachorganisationen, die eine Art ziviler Arm der PKK-Guerilla sind, hatten mit der HDP beraten, wie man auf den neuerlichen Kriegsausbruch in den kurdischen Gebieten der Türkei reagieren soll.

Dabei hatte der bekannteste kurdische Politiker, der Ko-Chef der HDP, Selahattin Demirtaș, eine Rede gehalten, in der er erstmals seit dem Beginn der Kämpfe im Juli 2015 die von der PKK seit langem geforderte Autonomie offensiv unterstützte. Bis dahin hatte die HDP immer von einer erweiterten kommunalen Selbstverwaltung gesprochen und eine durch den bewaffneten Kampf angestrebte Autonomie ablehnt. Unter dem Druck der militärischen Offensive der Armee, die vor allem die PKK-Hochburgen in Cizre und Silopi massiv mit Panzern und anderen schweren Waffen angreift, ist die HDP nun umgeschwenkt und nähert sich der Linie der PKK an.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan nahm dies zum Anlass, um DemirtașVerrat an der Türkischen Republik vorzuwerfen. „Diese Forderung verstößt gegen die Verfassung“ sagte er und veranlasste die Staatsanwaltschaft in Diyarbakır, Ermittlungen gegen Demirtașaufzunehmen. Nachdem auch gegen die zweite HDP-Chefin, Figen Yüksekdağ, Ermittlungen aufgenommen wurden, sollen beide jetzt ihre parlamentarische Immunität verlieren.

SırrıSüreyya Önder, ein führender Intellektueller der HDP, der selbst ethnischer Türke ist, sagte dazu in einem Interview: „Sie werden uns allen (die 80 HDP-Abgeordneten) die Immunität entziehen und einsperren. Ich persönlich sehe nicht, dass irgendjemand von uns sich davor fürchtet. Sollen sie es tun. Eine andere Frage ist, ob das hilft, das Land aus dem gegenwärtigen Alptraum herauszuführen. Ich glaube eher nicht.“

Wenig Unterstützung im Westen des Landes

Mit ihrer Initiative im Westen des Landes will die HDP nun versuchen, ihre türkischen Sympathisanten für die Unterstützung der Autonomieforderung zu mobilisieren um so die Kriminalisierungsstrategie der Regierung zu unterlaufen. Bislang hält sich die Unterstützung im Westen allerdings in Grenzen. Zu einer Demonstration am Sonntag in Istanbul kamen kaum mehr als hundert Teilnehmer, weit weniger als Polizisten, die sofort mit Tränengas und Schlagstöcken auf die Demonstranten losgingen.

Unterdessen ist das Militär in der Nacht von Sonntag auf Montag in einen seit Tagen belagerten Stadtteil von Silopi eingedrungen und hat nach eigenen Angaben dabei die PKKler vertrieben. Nach Angaben der Armee wurden seit Beginn der Kämpfe in Silopi insgesamt 88 Guerilleros getötet. Bei den Kämpfen in der Altstadt von Diyarbakır starben zur selben Zeit zwei Polizisten und eine Frau, die in ihrem Haus während des Frühstücks von einer Granate getroffen wurde.

5 Jan 2016

AUTOREN

Jürgen Gottschlich

TAGS

Schwerpunkt Türkei
HDP
Kurden
Recep Tayyip Erdoğan
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Kurden
Diyarbakir
Schwerpunkt Türkei
Istanbul
PKK
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Türkei
Diyarbakir
Kurden
Schwerpunkt Türkei
PKK

ARTIKEL ZUM THEMA

Politisches Buch über die Türkei: Düstere Aussichten am Bosporus

Ein Türkei-Sammelband beleuchtet Themen, die im politischen Diskurs zu kurz kommen. Die Hauptfrage kann er aber nicht lösen.

Türkische Armee geht gegen Kurden vor: „Tödliche Säuberungsaktion“ in Cizre

Sondereinheiten stürmen ein Versteck von angeblichen PKK-Kämpfern. Die Opposition spricht von Zivilisten. Die Opferzahlen sind unklar.

Belagerung im Kurdengebiet: Dramatische Lage in der Stadt Cizre

Die Kurdenpartei HDP ruft nach internationaler Hilfe für die eingeschlossene Bevölkerung. Regierungsnahe Medien sprechen von PKK-Kämpfern.

Bürgerkrieg in Diyarbakir: Die Stadt und der Tod

Ein Vater wartet darauf, die Leiche seines Sohns aus der belagerten türkischen Stadt zu bergen. Doch die Polizei gewährt keine Feuerpause.

Repression in der Türkei: Zwölf Wissenschaftler festgenommen

Über 1.000 Wissenschaftler fordern Ankara in einer Deklaration auf, die Kämpfe gegen Kurden zu stoppen. Zwölf Dozenten aus Kocaeli müssen ins Gefängnis.

Detonation in der Nähe der Hagia Sophia: 10 Tote bei Explosion in Istanbul

In dem bei Touristen beliebten Altstadtviertel Sultanahmet starben 10 Menschen. 15 wurden verletzt. Erdoğan spricht von einem syrischen Attentäter.

Türkische Regierung reagiert auf Druck: Erste Signale an die Kurden

Ankara stellt in Aussicht, den Krieg im Osten bis Ende des Monats einzustellen. Die Operationen gehen aber mit unverminderter Härte weiter.

HDP unter Druck in der Türkei: Festnahmen bei Razzia in Istanbul

Antiterroreinheiten stürmen in Istanbul ein Büro der prokurdischen Partei. Die türkische Regierung bleibt dabei, dass die HDP der politische Arm der PKK sei.

Militäreinsatz gegen die PKK: 16 Tote in der Türkei

Das türkische Militär setzt seine Großoffensive gegen die PKK fort. Unter den Toten sind drei Zivilisten. Vielerorts gilt noch immer die Ausgangssperre.

Offensive gegen Kurden in der Türkei: Demirtas steht massiv unter Druck

Zwischen der türkischen Armee und militanten Sympathisanten der PKK: Der Chef der kurdischen linken Partei HDP droht zerrieben zu werden.

Kurdischer Protest in Düsseldorf: 15.000 gegen türkische Offensive

Ursprünglich ging man nur von 7.000 TeilnehmerInnen aus: In Düsseldorf fand am Samstag eine Demo gegen das Vorgehen der Türkei in den Kurdengebieten statt.

Protokoll aus Diyarbakir: Vorbei, der Krieg ist da

Im türkischen Kurdistan geht der Staat brutal gegen jede Opposition vor. Unser Autor fragt, wo die deutsche Empörung über die Gewalt bleibt.

Kommentar Eskalation Kurdenkonflikt: Europas dröhnendes Schweigen

Der Konflikt zwischen Türken und Kurden eskaliert. Europa hält sich zurück. Dabei sollte gerade Deutschland vermitteln – in eigenem Interesse.