taz.de -- Deutsche Tornados in Syrien: Bundeswehr auf Zielsuche
Die Bundeswehr bereitet sich auf den Einsatz in Syrien vor. Die Tornados sollen mit ihren Spezialkameras lohnende Ziele für die Alliierten entdecken.
Berlin taz | Wenn alles glattgeht, steht die Bundeswehr an Weihnachten im Syrienkrieg. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte am Montag, die ersten Einheiten könnten „innerhalb weniger Tage vor Ort sein“ – vorausgesetzt, der Bundestag genehmigt den Marschbefehl. Heute entscheidet das Kabinett über den Einsatz gegen den IS, im Laufe der Woche soll das Parlament zustimmen.
Bis zu 1.200 Soldaten sieht der Mandatsentwurf vor, damit wäre der Einsatz der momentan größte der Bundeswehr. Den Krieg werden die deutschen Truppen zwar nicht entscheiden. Trotzdem ist der Einsatz mehr als reine Symbolik.
Kern des Mandats sind vier bis sechs Tornados der Luftwaffe, die durch Aufklärungsflüge Ziele für Kampfjets der Partnerstaaten finden sollen. Das mag zunächst unnötig klingen, schließlich führt die Drohnen- und Spionagegroßmacht USA die internationale Koalition gegen den IS an. Das Problem ist aber: Über Syrien setzen die Amerikaner nur einen Bruchteil ihrer Aufklärungsflugzeuge ein.
Stattdessen konzentrieren die USA und ihre westlichen Partner ihre entsprechenden Kapazitäten auf Afghanistan. Von Januar bis Ende Oktober flogen die westlichen Truppen dort über 18.000 Aufklärungseinsätze, über dem IS-Gebiet waren es im selben Zeitraum nicht einmal halb so viele. Hinzu kommt: Da die internationale Koalition in Syrien nur in der Luft operiert, hat sie auch niemandem, der ihr vom Boden aus Ziele durchgeben kann.
„Der Mangel solcher Kapazitäten im Irak und in Syrien führt dazu, dass die Koalition regelmäßig mehr Flugzeuge als Ziele zur Verfügung hat“, klagte daher schon vor Monaten US-Luftwaffen-Oberleutnant Scott Vickery in einem Fachaufsatz. Besonders misslich sei die Lage, wenn der IS gerade an mehreren Fronten zugleich kämpfe. Dann komme es vor, dass nicht genügend Aufklärungsflugzeuge verfügbar seien, um alle Schlachtfelder zu beobachten.
Die deutschen Recce-Tornados kommen also gelegen. Recce steht für das englische Wort reconnaissance, was nichts anderes als Aufklärung bedeutet. Statt Raketen hängen unter dem Rumpf dieser Jets Behälter mit hochauflösenden Kameras. Diese funktionieren teilweise im Infrarotmodus und können dadurch auch in der Nacht Bilder liefern. Per Funkverbindungen schicken die Tornados ihre Aufnahmen live an ihre Bodenstation.
Drohnen vs. Tornados
Gegenüber Aufklärungsdrohnen haben diese Tornados einen großen Nachteil: Sie müssen schneller zu ihrem Stützpunkt zurückkehren. Drohnen können teilweise über 24 Stunden über einem Ziel kreisen, Tornados dagegen bleiben höchstens ein paar Stunden in der Luft. Dafür können die Jets schneller als der Schall fliegen – sie sind also rascher vor Ort.
Bombardieren werden die Tornados ihre Ziele nicht. Sie sind lediglich mit Bordkanonen und Raketen zur Selbstverteidigung ausgerüstet. Dass diese Raketen zum Einsatz kommen, ist unwahrscheinlich: Der IS verfügt über keine nennenswerte Flugabwehr. Die Gefahr für Piloten besteht eher darin, dass sie wegen technischer Probleme aus ihren Maschinen abspringen müssen und am Boden von IS-Kämpfern gefangen genommen werden könnten. So erging es einem jordanischen Piloten, den die Terrormiliz nach wochenlanger Gefangenschaft vor laufenden Kameras tötete.
Von welchen Stützpunkten die Tornados starten werden, ist noch unklar. Im Gespräch sind Militärflugplätze in der Türkei und in Jordanien. Wie viele Soldaten allein der Tornado-Einsatz bindet, ist ebenfalls noch nicht bekannt. Als die Aufklärungsflugzeuge zuletzt in Afghanistan im Einsatz waren, durfte die Bundeswehr dafür laut Mandat bis zum 500 Mann und Frau einsetzen.
Hightech-Satellitensysteme aus Deutschland
Die übrigen Komponenten des Syrien-Mandats sind eher Beiwerk. Zum Teil geht es auch dabei um Aufklärung: So soll die Anti-IS-Koalition künftig Bilder der sogenannten SAR-Lupe-Satelliten nutzen dürfen. Außer Deutschland verfügen nur wenige andere Staaten über solche Hightech-Satellitensysteme. Sie funktionieren auf Radarbasis und können auch bei Nacht und Bewölkung Informationen liefern. Den Franzosen stellt die Bundeswehr die Satellitenbilder aber ohnehin schon seit Jahren routinemäßig zur Verfügung.
Schließlich will die Regierung noch ein oder mehrere Tankflugzeuge und ein Kampfschiff entsenden. Das Schiff wird den französischen Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ begleiten, der bereits im Einsatz gegen den IS ist. Flugzeugträger sind selbst nur schwach bewaffnet und werden daher traditionell durch mehrere Fregatten begleitet. Dass es der IS schafft, die „Charles de Gaulle“ zu attackieren, ist allerdings relativ unwahrscheinlich. Auf die deutsche Fregatte (Besatzung normalerweise unter 300 Soldaten) wartet daher ein eher unspektakulärer Einsatz.
Bleiben noch die Tankflugzeuge vom Typ Airbus A 310. Vier dieser Flugzeuge kaufte die Bundeswehr vor 15 Jahren der Lufthansa ab. Mit den Maschinen wird die Luftwaffe Kampfjets der Partnerstaaten betanken. Diese können also länger in der Luft bleiben und dadurch mehr Angriffe ausführen.
Solche fliegenden Tankstellen sind international Mangelware. Schon als Frankreich 2013 in Mali intervenierte, bat sie Deutschland daher um Unterstützung.
30 Nov 2015
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
„Zieldaten für andere, damit die etwas draufwerfen.“ – Bundeswehrflugzeuge klären jetzt Stellungen der Terrormiliz IS auf.
Sie sehen bei dem Bundeswehreinsatz das Parlament nicht ausreichend beteiligt. Deshalb prüfen Grüne und Linke nun den Gang vors Verfassungsgericht.
Die Lage dort sei zu unsicher, ist man sich im Bündnis einig. Die Nato will die Luftabwehr der Türkei mehr unterstützen und lädt Montenegro zum Beitritt ein.
Mangelhaftes Material: Zwar sollen deutsche Jets gegen den IS kämpfen, aber nicht einmal jedes zweite dieser Bundeswehrflugzeuge ist einsatzbereit.
Die Grünen werden den Einsatz der Bundeswehr gegen den IS wohl ablehnen. Fraktionschefin Göring-Eckardt nennt ihn „planlos und kontraproduktiv“.
Der Einsatz der Bundeswehr gegen die IS-Terrormiliz könnte schon kommende Woche beginnen – und lange dauern: Experten rechnen mit Jahren.
Der Einsatz der Bundeswehr gegen die Dschihadisten vom „Islamischen Staat“ ist nun beschlossen. Die Beteiligung ist zunächst auf ein Jahr befristet.
Militärische Interventionen sind kein Selbstzweck, sie sind ein Mittel. Deshalb müssen die Ziele eines Einsatzes genau definiert werden.
Noch in diesem Jahr soll die deutsche Syrien-Mission beginnen. Die Bundeswehr bereitet sich auf den derzeit größten Einsatz vor. Am Dienstag trifft sich das Kabinett.
Die Bundeswehr will mehr Soldaten nach Mali entsenden. Die Lage ist instabil, bei einem Angriff auf einen UN-Stützpunkt sterben Mitarbeiter.
Die Beteiligung der Bundeswehr an Luftschlägen gegen den IS wird falsch begründet. Teil einer Lösung kann dieser Einsatz auch nicht sein.
Der Bundestag soll schon bald über einen Militäreinsatz in Syrien beraten. Die Grünen sind unentschieden, die Linke erwägt eine Verfassungsklage.
Völkerrechtlich gibt es mehrere Wege, den Einsatz der Bundeswehr in Syrien zu legitimieren. Das Grundgesetz schreibt ein Bundestagsmandat vor.