taz.de -- Türkei-Wahl und Flüchtlingsfrage: Gegenüber EU den Rücken gestärkt

Das Wahlergebnis hilft Erdoğan beim Gespräch mit Brüssel: Die Türkei will Schutzgebiete für Flüchtlinge in Syrien.
Bild: Alles bleibt, wie es ist – die AKP wird hofiert und darf bestimmen.

Istanbul taz | Nach dem überraschend hohen Wahlsieg der AKP und des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan teilte die Bundesregierung am Montag mit, man werde nun möglichst schnell eine enge Zusammenarbeit mit der neuen Regierung suchen. Der friedliche Verlauf und die hohe Wahlbeteiligung, seien ein Zeichen für die funktionierende Demokratie, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Damit bereitet man sich in Berlin auf weitere Gespräche mit der türkischen Regierung über die künftige Flüchtlingspolitik vor.

Optimistisch äußerte sich der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok: Der klare Sieg der AKP schaffe die Voraussetzungen dafür, auf einer stabilen Grundlage Gespräche über die Flüchtlingskrise und den Syrien-Konflikt zu führen. Demgegenüber sehen die Grünen grundlegende Prinzipien demokratischer Wahlen verletzt. Die Sozialdemokraten forderten die AKP auf, sich nun mit der Opposition auszusöhnen.

Die Türkei gilt als Schlüsselstaat in der Flüchtlingsfrage. Der größte Teil der nach Europa einwandernden Syrer, Afghanen, Iraker und selbst Afrikaner kommt über die Türkei. Aber dort leben selbst bereits mehr als zwei Millionen Flüchtlinge. Damit Erdoğan bereit ist, sein Land zu der von der EU gewünschten „Pufferzone“ zu machen, wird diese einen hohen Preis bezahlen müssen. Dazu gehört die Kompensation für die Demütigungen, die ihm die EU im bisherigen Verlauf der Beitrittsgespräche beigebracht hat.

Das bedeutet unter anderem ernsthafte Verhandlungen, ohne sich weiter hinter Zypern oder Griechenland zu verstecken, die bislang die Gespräche über etliche Kapitel des Beitrittskatalogs blockiert hatten. Dazu gehört auch die Visafreiheit für türkische Bürger.

Vor allem aber wird Erdoğan seine Vorstellungen davon durchsetzen wollen, wie der Bürgerkrieg in Syrien, zu entschärfen ist. Erdoğan will mindestens die Einrichtung von Flugverbotszonen durchsetzen, besser aber noch Schutzgebiete in Syrien, in denen die Flüchtlinge untergebracht werden können, statt ins Nachbarland Türkei zu fliehen.

2 Nov 2015

AUTOREN

Jürgen Gottschlich
Eric Bonse

TAGS

Parlamentswahl Türkei 2015
Schwerpunkt Türkei
Deutschland
Flüchtlingspolitik
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt AKP
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Flucht
Parlamentswahl Türkei 2015
Schwerpunkt Türkei
Parlamentswahl Türkei 2015
Recep Tayyip Erdoğan
Recep Tayyip Erdoğan

ARTIKEL ZUM THEMA

Aus Le Monde diplomatique: Erdoğans Lohn der Angst

Die AKP siegte bei der Wahl nicht, weil sie Lösungen bietet. Sie schürt Angst und Terror, um sich als starke Kraft in unsicheren Zeiten zu inszenieren.

Flüchtlingsdrama im Mittelmeer: Proteste auf Lesbos

EU-Parlamentspräsident Schulz besucht mit Alexis Tsipras die griechische Insel Lesbos. Er will sich ein Bild von der Lage der vielen tausend Flüchtlinge machen.

Journalisten in der Türkei: Wegen „Putschversuchs“ angeklagt

Nach der Wahl sind zwei Chefs eines liberalen Magazins angeklagt worden. Angeblich sollen sie versucht haben, die türkische Regierung gewaltsam zu stürzen.

Razzia in türkischen Provinzen: 35 Gülen-Anhänger festgenommen

Zwei Tage nach dem Wahlsieg von Präsident Erdogan ist die türkische Polizei im ganzen Land gegen Anhänger seines Widersachers Fethullah Gülen vorgegangen.

Nach der Parlamentswahl in der Türkei: „Ein rabenschwarzer Tag“

Regierungschef Davutoglu fordert eine neue Verfassung. Damit will Erdogan ein Präsidialsystem einführen. Die HDP kritisiert den Wahlkampf als „unfair“.

Kommentar Wahl Türkei: Erdoğan weiter auf Chaoskurs

Der Angstwahlkampf der AKP hat sich ausgezahlt. Für die neue Regierung gibt es keinen Grund, nun zum Frieden zurückzukehren.

Parlamentswahl in der Türkei: Absolute Verhältnisse

Die AKP von Präsident Erdoğan hat sich die alleinige Mehrheit zurückerobert. Die pro-kurdische HDP schafft es erneut ins Parlament.