taz.de -- Neue Führung in China: Leise Hoffnung für Tibet
Trotz der hohen Zahl an Selbstverbrennungen hegen Tibet-Aktivisten „vorsichtigen Optimismus“. In die Kritik ist indes der Daimler-Konzern geraten.
PEKING taz | Nur wenige Bilder gelangen derzeit aus der tibetischen Klosterstadt Tongren (Provinz Qinghai) über Chinas Kurznachrichtendienst Sina-Weibo nach Peking. Ein Bild zeigt Hunderte aufgebrachter Mönche. Auf einem anderen sind Tausende protestierender tibetische Schüler abgebildet. Über den weiteren Verlauf dieser Proteste vom Freitag ist in Peking nichts bekannt. Die Bilder wurden bald gelöscht.
Während sich in Peking die Kommunistische Partei auf ihrem einwöchigen Parteitag selbst bejubelt und ihre neue Führung bestimmt, spielen sich in den tibetisch bewohnten Regionen dramatische Szenen ab. Vergangenen Mittwoch und Donnerstag, unmittelbar vor Parteitagsbeginn, übergossen sich sechs Tibeter mit Benzin und zündeten sich an – so viel wie nie innerhalb von zwei Tagen. Drei von ihnen starben.
Seit Jahresbeginn 2011 verbrannten sich damit insgesamt 60 Tibeter selbst. Mit diesen Verzweiflungstaten protestieren sie gegen Chinas Führung, die Tibet seit 1951 besetzt hält.
Die Selbstverbrennungen seien der verzweifelte Ausdruck eines Volkes, das sich in Chinas politischem Gefüge nicht repräsentiert sehe, klagt Nadine Baumann von der Tibet Initiative Deutschland. Sie sieht „dringenden Handlungsbedarf“. Die weltweit agierenden Tibet-Organisationen und der Dalai Lama, das im Exil lebende geistige Oberhaupt der Tibeter, haben die Hoffnung, mit der neuen KP-Führung um Xi Jinping könnte Peking seine Tibet-Politik neu ausrichten. „Dass Xis Vater persönlich mit dem Dalai Lama bekannt war und in der Tibet-Frage als kompromissbereit galt, gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus“, sagt Baumann.
Schuld bekommt die „Dalai-Clique“
Diesen Eindruck erwecken die Verantwortlichen auf dem Parteitag in Peking bisher jedoch nicht. Wie gewohnt geben sie „Separatisten aus dem Ausland“ und der „Dalai-Clique“ die Schuld für die Selbstverbrennungen. Wer dazu anstifte, stehe unter „Mordverdacht“, giftete der Vizegouverneur der Provinz Tibet, Losang Gyaltsen.
Die International Campaign for Tibet (ICT) übt derweil Kritik am Daimler-Konzern. Im NCPA, Pekings größtem Veranstaltungsort, hatte im Juli eine Konzertreihe zum anstehenden Parteitag stattgefunden mit Titeln wie „Singe ein Volkslied für die Kommunistische Partei“. Mercedes-Benz wurde als „strategischer Partner“ genannt.
ICT-Geschäftsführer Kai Müller nannte Daimlers Sponsoring „beschämend, wenn gleichzeitig Regimekritiker inhaftiert werden und sich Tibeter aus Protest anzünden“.
Daimler weist die Vorwürfe zurück. Ziel der Partnerschaft sei es, Kulturveranstaltungen zu unterstützen und sie Pekings Bewohnern zugänglich zu machen, sagte ein Daimler-Sprecher der taz. „Es war und ist nicht unsere Absicht, damit politische Botschaften zu verbinden.“
13 Nov 2012
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
In Madrid haben Exil-Tibeter Klage wegen Völkermords gegen ehemalige chinesische Politkader eingereicht. Nun wurden Haftbefehle erlassen. Peking ist verärgert.
Peking dementiert Berichte, demnach Tibeter künftig wieder Fotos des Dalai Lama zeigen und ihn religiös verehren dürfen. Doch gibt es Zeichen für Reformdebatte.
Der Auftritt beim Strawberry Music Festival in Peking wird vom Kulturministerium verboten. Der Grund: 1998 trat die Band Kraftwerk auf einem „Free Tibet“-Konzert auf.
Fast 100 Tibeter haben sich seit 2009 selbst in Brand gesetzt, um gegen Chinas Führung zu protestieren. Die reagierte jetzt mit einer Verhaftungswelle.
Tibet wird von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen, sagt der Sondergesandte des Dalai Lama, Kelsang Gyaltsen. Selbstverbrennung sei ein Akt der Verzweiflung.
Zwei junge Tibeter sind bei Selbstverbrennungen gestorben. Die Exilregierung sieht darin ein Zeichen gegen die chinesische Herrschaft in Tibet.
Die Lage in den tibetischen Gebieten Chinas eskaliert: Fast täglich gibt es neue Selbstverbrennungen. Sicherheitskräfte gehen mit Gewalt gegen demonstrierende Tibeter vor.
Während des Kongresses der KP Chinas sind mindestens zwei Aktivisten in Polizeigewahrsam gestorben. Rund 100.000 Menschen sollen Opfer von Repressalien geworden sein.
Der bisherige Vizepräsident Xi Jinping wird Chinas neuer Generalsekretär. In seiner Führungsmannschaft werden künftig auch zwei Hardliner sitzen.
Asiatische Nachbarn sind besorgt über die wachsende Stärke des chinesischen Militärs. Dessen Haushalt steigt kontinuierlich, die Streikräfte werden modernisiert.
In China ist Präsident Hu Jintao als Chef der Kommunistischen Partei abgetreten. Sein Nachfolger soll Xi Jinping werden. So war es auch geplant.
Chinas Militärs unterstehen seit Maos Zeiten direkt der KP. Der neue Parteichef Xi dürfte schon jetzt den Topposten in der Armee übernehmen, was seine Position stärkt.
Ein Viertel der Chinesen hat in den vergangenen 20 Jahren aus der Armut herausgeschafft. Dennoch wächst die Unzufriedenheit.
Sie war Chinas großer Fernsehstar, jetzt muss Peng Liyuan zurücktreten. Denn ihr Mann wird neuer KP-Chef und Staatspräsident.
KP-Chef Hu Jintao verspricht den 1,34 Milliarden Chinesen auf dem Parteitag die „Verdoppelung“ der Einkommen bis 2020. Wie, das bleibt seinem Nachfolger überlassen.
Auszüge der Rede des chinesischen Schriftstellers Liao Yiwu anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in Frankfurt.
Missstände anzusprechen, ist in China zulässig. Zu weit darf die Kritik nicht gehen, wie der Literaturnobelpreisträger Mo Yan und andere Literaten zeigen.
Die EU hat auf ihrem China-Gipfel viele freundliche Worte für Regierungschef Wen Jiabao. Streitpunkte bleiben aber Menschenrechte und Waffenembargo.