taz.de -- Kommentar Generalstreik in Europa: Wegschauen wird sich rächen

Die deutschen Gewerkschaften haben zum Generalstreik in Europa nur wenig mobilisiert. Besonders die IG Metall schadet sich mit ihrer Strategie selbst.

Stell dir vor, es ist Generalstreik, und keinen interessiert es. Gerade mal ein Häuflein Aufrechter ging in Deutschland am Mittwoch auf die Straße, während [1][in mehreren europäischen Ländern Hunderttausende aus Protest gegen die Austeritätspolitik die Arbeit niederlegten].

Es liegt nahe, für diesen Mangel an Solidarität die deutschen Gewerkschaften verantwortlich zu machen. Auch wenn der politische Generalstreik in Deutschland nur erlaubt ist, wenn die Demokratie bedroht ist, hätten die Gewerkschaften mehr Menschen mobilisieren können, wird so mancher schimpfen. Aber auch die Gewerkschaften können die gesellschaftlichen Einstellungen und Erfahrungen nicht per Zauberstab radikalisieren. Die Wahrheit ist: Die Krise ist in den Köpfen und Geldbeuteln der Menschen noch nicht angekommen. Etliche Beschäftigte glauben, dass mehr schwäbisches Hausfrauentum Südeuropa nicht schaden könnte.

Und trotzdem haben die Gewerkschaften ein Problem. In der Krise wird klar, wie gespalten sie sind. Während DGB-Chef Michael Sommer und Ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske mit deutlichen Worten die fatalen Auswirkungen des Spardiktats, der Schuldenbremse und des Fiskalpakts kritisieren, hält sich die mächtige IG Metall auffällig zurück.

Es ist das alte Korporatismusdilemma der Metaller: Vor allzu deutlicher Kritik an der Bundesregierung und politischer Mobilisierung schrecken sie zurück. Denn wenn die Krise nach Deutschland schwappt, wird die IG Metall wieder mit Regierung und Arbeitgebern über Kurzarbeit verhandeln wollen. Radikalopposition wäre da hinderlich.

Aber diese Strategie zahlt sich auf Dauer nicht aus. Nicht nur, weil unter der Krise langfristig die Exporte ins europäische Ausland leiden. Sondern vor allem, weil der Abbau von Arbeitsrechten in den Nachbarstaaten, den die EU-Kommission mehr oder weniger subtil vorantreibt, Sogwirkung bis nach Deutschland entfalten wird.

Sinken die Lohnkosten im Ausland, wird auch hier der Ruf lauter werden, billiger zu produzieren, um im Exportwettbewerb mithalten zu können. Oder die Verlagerung von Produktionsstandorten ins europäische Ausland wird an Attraktivität gewinnen, wenn hinter der Grenze Wettbewerbsvorteile winken. Höchste Zeit also, dass auch die IG Metall den europapolitischen Kurs der Regierung ernsthafter infrage stellt.

14 Nov 2012

LINKS

[1] /Generalstreik-in-Spanien-und-Portugal/!105559/

AUTOREN

Eva Völpel

TAGS

Generalstreik
Gewerkschaft
IG Metall
Arbeitnehmer
Euro-Krise
Eurokrise
Europa
Madrid
Europa
EU
Streik
Spanien

ARTIKEL ZUM THEMA

Verdi-Chef über Arbeitnehmerrechte: „Deutschland, der kranke Mann“

Als Folge der Eurokrise fürchtet Verdi-Chef Bsirske auch hierzulande eine schlechtere Entlohnung. Peer Steinbrück warnt er davor, historische Fehler zu wiederholen.

Debatte Europa: Diese Krise ist keine Chance

In Berlin und Brüssel glauben viele, die EU werde gestärkt aus der Krise hervorgehen. Sie liegen falsch. Sie ist dabei, sich selbst abzuwickeln.

Proteste in Europa: Noch mehr Stimmen der Empörten

Eine Programmiererin, eine Anwältin, eine Verkäuferin, ein Polizist. Alle eint die Unzufriedenheit mit dem Sparkurs in Europa. Teil 2.

Proteste in Krisenländern: Erst Streik, dann Straßenschlachten

Am Mittwoch kam es nach den friedlichen Massendemonstrationen in Spanien und Portugal noch zu Kämpfen mit der Polizei.

Proteste in Europa: Die Stimmen der Empörten

Eine Programmiererin, eine Anwältin, eine Verkäuferin, ein Polizist. Alle eint die Unzufriedenheit mit dem Sparkurs in Europa – Teil I.

Generalstreik in Europa: Schwierige Solidarität

Strikte Sparpolitik muss bekämpft und höhere Löhne erreicht werden, sagen Europas Arbeitnehmervertretungen. Nur wie das gehen soll, sehen sie unterschiedlich.

Generalstreik in Spanien und Portugal: Wut auf die Eliten

Erstmals protestieren Arbeitnehmer in Portugal und Spanien gleichzeitig. In beiden Ländern herrscht weitgehend Stillstand.

Streit der Woche: „Ein Generalstreik ist notwendig!“

Braucht Europa den Generalstreik? Oskar Lafontaine von der Linkspartei fordert ihn ein. Die Stifterin Ise Bosch kritisiert „Reichen-Hetze“.