taz.de -- Kommentar Syrien: Die Perspektive des Diktators

Wir sollten nicht mehr davon sprechen, dass Baschar al-Assad auf sein Volk schießen lässt. Denn die SyrerInnen sind nicht sein Volk.
Bild: Ein von Assads Soldaten zerstörter Stadtteil von Homs

„Assad tötet sein Volk“, „Assad lässt auf sein Volk schießen“, Assad führt Krieg gegen sein Volk“. Was ist an diesen Schlagzeilen problematisch? Faktisch stimmen sie doch.

Das Problem ist das besitzergreifende Fürwort: „sein Volk“. Immer wieder werden die SyrerInnen mithilfe dieser unscheinbaren Sprachkonvention dem selbsternannten Herrscher nicht nur unterstellt, sondern symbolisch unterworfen.

Die SyrerInnen gehören aber nicht Assad, auch wenn der das unbedingt so sieht. Und wie jeder Diktator den Anspruch erhebt, über Leben und Tod der in seinem Einflussbereich lebenden Menschen nach Belieben entscheiden zu können. Daher ist es ein Problem, die Perspektive des Diktators einzunehmen und, ohne nachzudenken, durch die Wortwahl zu bestätigen.

Mehr als 100.000 SyrerInnen hat dieses Besitzdenken bereits das Leben gekostet, und es werden noch viel mehr sterben.

Denn Assad nützt die Tage, die ihm zum angekündigten Militärschlag durch die USA noch bleiben, und lässt Kriegsgerät in dicht besiedelte Wohngebiete verfrachten. Ebenso wie Häftlinge, so berichten syrische Bürgerjournalisten, nun per Lastwagen auf Militärstützpunkte gekarrt werden.

Möglichst viele Tote

Assad will sicherstellen, dass bei einem Raketenangriff möglichst viele SyrerInnen umkommen. Dann wird das Regime mit dem Finger auf Obama zeigen und feixen: Seht her, das sind eure Befreier. Sie töten euch.

Für Assad ist es keine Frage, dass SyrerInnen, die ihm den Gehorsam verweigern, das Recht auf Leben verwirkt haben. Diese Haltung stellt er jeden Tag unter Beweis.

Die Kritik an Assad sollte sich daher auch in der Wortwahl spiegeln. Das bedeutet nicht zuletzt, von SyrerInnen zu sprechen anstelle von einem Volk, das von seinem „Besitzer“ getötet wird.

3 Sep 2013

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Ines Kappert

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