taz.de -- Kolumne Geht's noch?: Ukraine verspielt Perspektiven
Das peinliche Herumgeeiere der ukrainischen Regierung könnte sogar unterhaltend sein. Wären da nicht die Menschen mit ihren Hoffnungen.
Herr, lass Hirn vom Himmel fallen und zwar direkt ins Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Anstatt jetzt endlich ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das der inhaftierten und erkrankten Oppositionsführerin Julia Timoschenko eine medizinische Behandlung im Ausland erlaubt, haben die Abgeordneten nichts Besseres zu tun, als eben dies nicht zu tun. Am vergangenen Donnerstag fand eine entsprechende Vorlage im Parlament mal wieder keine Mehrheit.
Nur dummerweise ist genau dieses Gesetz eine der zentralen Bedingungen der Europäischen Union, um mit der Ukraine bei einem Gipfeltreffen in der kommenden Woche in Vilnius ein Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen. Ach so, das Abkommen. Das wurde dann am Donnerstag nachmittag gleich noch von der Regierung auf Eis gelegt.
Just zu diesem Zeitpunkt meldete sich Präsident Wiktor Janukowitsch aus Österreich zu Wort und teilte mit, die Ukraine werde „weiter an dem Weg zur Integration in die EU arbeiten.“ Derselbe Mann, der noch vor einigen Tagen EU-Kommissar Stefan Fuele wissen ließ, er plane nicht, das Abkommen zu unterschreiben. Kurzum: Absurdistan vom Feinsten!
Das peinliche Herumgeeiere könnte sogar einen gewissen Unterhaltungswert haben, wären da nicht die Menschen mit ihren Hoffnungen und Erwartungen. Die Mehrheit von ihnen will eine Annäherung ihres Landes an Europa. Vor allem der jungen Generation dämmert es schon lange, dass eine Umarmung der Ukraine durch den großen östlichen Bruder keine Alternative ist.
Denn ein Blick nach Moskau, das Kiews europäische Bemühungen mit allen erdenklichen Mitteln zu torpedieren versucht, oder – schlimmer noch – in das sowjetische Freigehege Weißrussland des autokratischen Präsidenten Alexander Lukaschenko genügt, um festzustellen: Zukunftsperspektiven sehen anders aus.
Genau die könnte die Ukraine jetzt verspielen, es sei denn die EU ließe sich noch weitere Zugeständnisse abringen. Oder Herr Janukowitsch hat mit seiner erklärten Erzfeindin Julia Timoschenko noch ein Einsehen. Doch warum sollte er, wenn er das Abkommen ohnehin nicht mehr will? Das allerdings hätten er und auch Brüssel auch schneller und billiger haben können.
22 Nov 2013
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