taz.de -- Der sonntaz-Streit: „Freiheit muss erkämpft werden”

Man soll den Russen Mut machen, findet Schriftsteller Kaminer. Aber Putin nicht unnötig Schützenhilfe geben, sagt Grünen-Fraktionschef Hofreiter.
Bild: Die Hochspringerin Emma Green Tregaro protestierte bei der Leichtathletik-WM in Moskau gegen Putin.

„Partnerschaft darf nicht in Duckmäusertum ausarten“, sagt [1][Anton Hofreiter], Bundestagsfraktionschef der Grünen. Putin wolle sich durch die Olympischen Spiele als vermeintlich weltoffen präsentieren. „Dafür muss man ihm nicht unnötig Schützenhilfe liefern“, sagt Hofreiter.

Die Demokratie in Russland erlebe mehr Rück- als Fortschritte. Hofreiter fordert eine kritische Begleitung durch den Menschenrechtsausschuss, um „nicht nur den Menschen in Russland, sondern auch den Sportlerinnen und Sportlern den Rücken zu stärken“.

Man könne nicht erwarten, dass die Menschen nach 70 Jahren Sklaverei und strenger Zensur selbstbewusst in die Freiheit steuerten, sagt [2][Wladimir Kaminer], Schriftsteller mit russischer Herkunft. „Die Freiheit muss erkämpft werden, das wissen die Deutschen gut“, so Kaminer, aber um diesen Kampf zu gewinnen, bräuchte man Freunde. „Man soll die Russen nicht im eigenen Saft schmoren lassen, man soll ihnen Mut machen“, sagt der Autor.

„Ich verscherze es mir doch nicht mit meinen russischen Freunden“, sagt [3][Nina Hagen], „nur weil ich mit ihnen über die Menschenrechte diskutiere“. Die Sängerin zitiert die Bürgerrechtlerin Coretta Scott King: „Homophobie ist dasselbe wie Rassismus“ und appelliert an „Mütterchen Russland“: „Bitte bleiben Sie menschlich“.

„2007 habe ich in Russland gelebt“, beantwortete taz-Leser Roman Kuznetcov [4][die Streitfrage] per Email. „Den Moment, als verkündet wurde, dass die Olympiade in Sotschi stattfindet, werde ich nie vergessen“. Die Gesichter in den grauen Straßen strahlten vor Glück, schreibt Kuznetcov. „Wir dachten, das ist der größte Moment für das Land.“

Sechs Jahre später hätten die Russen verstanden, dass Sotschi die erste Schlacht in Putins Krieg gegen sein eigenes Volk sei. 1980 hätten viele Länder die Olympiade in Moskau wegen des Krieges in Afghanistan boykottiert, sagt Kuznetcov und fordert: „Heute soll die Welt wieder protestieren“.

Die Streitfrage beantworten außerdem Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Linkspartei, Tanja Walther-Ahrens, die Ex-Fußballerin und Aktivistin gegen Homophobie, der Aktivist Wanja Kilber, der im Verein Quarteera homosexuelle russische Flüchtlinge in Deutschland unterstützt, der Osteuropa-Historiker Andreas Kappeler und der taz-Leser Hannes Munzinger – in der [5][taz.am wochenende vom 14./15. Dezember 2013.]

14 Dec 2013

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Svenja Bednarczyk

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