taz.de -- Netzpolitik in der Großen Koalition: Internetminister? So ein Quatsch!
Das Netz spottet über den neuen „Internetminister“. Dabei ist der Name falsch. Denn um Netzpolitik kümmern sich auch künftig etliche Ressorts.
BERLIN taz | Die News-Seiten überschlugen sich am Wochenende: „Wadenbeißer wird Internetminister“ ([1][meedia.de]), „Alexander Dobrindt soll als erster Internetminister in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen“ ([2][stern.de]), „Neuer Internetminister: Ausgerechnet Dobrindt“ ([3][Spiegel Online]). Das, was Netzaktivisten seit Langem fordern, schien wahr zu werden: Ein eigenes Netzministerium.
Doch jetzt ist der Spott groß. Denn der bisherige CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt soll sich ums Digitale kümmern. Ha, nicht einmal einen Twitter-Account hat der. Pah, nur etwas mehr als [4][3.200 Fans bei Facebook] und hihi, der [5][nutzt dort ja sogar Hashtags].
Dabei macht erstens ein Twitter-Account noch keinen Netzpolitiker und ist die Häme zweitens völlig fehl am Platz. Denn Dobrindt wird kein „Internetminister“. In erster Linie wird er „Minister für Verkehr“ und erhält zusätzlich die Aufgabe sich um die „digitale Infrastruktur“ zu kümmern. Hat ja auch irgendwie etwas miteinander zu tun. Datenautobahn und so.
Die CSU wird Dobrindt wohl vor allem daran messen, ob und wie er die umstrittene Autobahnmaut für Ausländer umsetzt, nicht daran, wie viele Glasfaserkabel er verlegen lässt.
Koordination? Unklar
Dobrindt wird nicht für das gesamte Themenfeld zuständig sein, sondern sich vornehmlich um den Breitband-Ausbau kümmern, bei dem Deutschland noch immer hinter den europäischen Nachbarn zurückhängt. Auch im neuen Kabinett werden sich die Aufgaben, die sich unter dem Begriff der „Netzpolitik“ vereinen, auf etliche Ressorts verteilen.
Um Datenschutz, IT-Sicherheit, Vorratsdatenspeicherung, Startup-Förderung, eGovernment, Netzneutralität, Urheberrecht und Jugendschutz werden sich etwa Innen-, Justiz-, Wirtschafts- und Familienministerium kümmern. Ob jemand all diese netzpolitischen Themen zwischen den unterschiedlichen Häusern koordiniert, ist noch unklar.
Besänftigend für Netzaktivisten wirkt eine andere Personalie. Mit der 35-jährigen CSUlerin Dorothee Bär holt sich Dobrindt eine Frau als Staatssekretärin ins Ministerium, die Netzpolitik als ihr „Steckenpferd“ bezeichnet. Sie ist [6][bei Twitter eine große Nummer], organisiert schon mal [7][LAN-Partys im Bundestag] und gilt als Vorzeigefrau der CSU in Sachen Internet. Doch auch sie wird schnell merken, dass das Verkehrsministerium bei den wirklich drängenden Fragen der Netzpolitik wenig zu melden haben wird.
An der Besetzung des Kabinetts lässt sich also kaum ablesen, dass die künftigen Koalitionäre die Bedeutung des Internets begriffen haben. Zwei weitere Personalien der CDU lassen aber hoffen, dass wenigstens Kanzlerin Angela Merkel künftig mehr von netzpolitischen Diskussionen erfährt. So wird der bisherige Bundesumweltminister Peter Altmaier als Kanzleramtsminister eng mit ihr zusammenarbeiten. Seit dem Erfolg der Piratenpartei 2011 hat er die Netzpolitik für sich entdeckt und engagiert sich. „Soviel Netzkompetenz war nie“, [8][twittert er am Sonntag].
SPD sieht netzpolitisch alt aus
Und tatsächlich: Neben Bär und Altmaier schickt Merkel mit dem 39-jährigen Peter Tauber als künftigen CDU-Generalsekretär einen weiteren Netzexperten in die vorderste politische Reihe. Bisher ist Tauber bundespolitisch unbekannt, beschäftigt sich aber als einer der wenigen CDUler seit Jahren mit digitalen Themen und gilt als Kritiker der Vorratsdatenspeicherung. Er ist zudem Sprecher des Vereins [9][cnetz], den netzaffine Unionspolitiker 2012 gegründet haben. Auch Bär und Altmaier sind Gründungsmitglieder.
Dagegen sieht es bei der SPD netzpolitisch mau aus. Noch im Wahlkampf hatte sich Kanzlerkandidat Peer Steinbrück mit [10][Gesche Joost] eine Frau ins Kompetenzteam geholt, die sich ums Digitale kümmern sollte. Im neuen Kabinett dagegen ist von netzpolitischer Kompetenz bei der SPD kaum mehr etwas übrig geblieben.
16 Dec 2013
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Der Videodienst Netflix und der Provider Comcast wollen enger zusammenarbeiten. Der Deal schürt international Sorgen um die Netzneutralität.
Digitale Öffnung und Belebung der Kommunikationsformen – so klingt es, wenn eine Volkspartei eine digitale Strategie entwickelt. Die SPD will so ihr Image aufbessern.
Der Anbieter Verizon siegt mit einer Klage gegen die Aufsichtsbehörde. Nicht nur Verbraucherschützer in den USA sind alarmiert.
Der neue Justizminister Heiko Maas (SPD) will laut Medienbericht die umstrittene Vorratsdatenspeicherung vorerst nicht einführen. Er will ein Gerichtsurteil abwarten.
Die Piraten seien unnötig, sagt ein Politikwissenschaftler. Ein Kollege behauptet das Gegenteil: Von den Piraten könne man noch viel lernen.
Ulla Fiebig hat das Hauptstadtstudio der ARD mit dem Internet bekannt gemacht. Sie erzählt, wie schwierig das manchmal war.
Mit kleinen Lösungen hält sich der neue Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur nicht auf: Dobrindt will weltweit das schnellste und intelligenteste Netz schaffen.
Tausendsassa Alexander Dobrindt hat sich vom Nobody zum bekanntesten Gesicht der CSU gemausert. Und Minister wird er auch noch!
Netzpolitiker von Union und SPD jubeln über den neuen Internetausschuss. Die Grünen kritisieren, inhaltlich sei der Ausschuss „dünne Suppe“.
Peter Schaar war 10 Jahre lang Datenschutzbeauftragter. Der Grüne war gegen die Vorratsdatenspeicherung und Google Street View.
Die SPD in Aufbruchslaune, Unionspolitiker mit Machtoptionen und ein absurder Gabriel-Hype – und dennoch bleibt vieles erst einmal beim Alten.
Die CDU-Politikerin Andrea Voßhoff wird neue Bundesdatenschutzbeauftragte. Die Grünen kritisieren sie, weil sie für die Vorratsdatenspeicherung stimmte.
Was wurde eigentlich aus Peer Steinbrücks Kompetenzteam? Der Gewerkschafter Klaus Wiesehügel war mit allen noch mal Schnitzel essen.
Merkel, Gabriel und Seehofer haben den Koalitionsvertrag unterschrieben. Die Grünen werfen der SPD vor, eine Chance vertan zu haben.
Zwei bleiben auf ihren Posten. Ansonsten wechseln Ressorts und Personal munter durcheinander. Wir stellen das neue Kabinett vor.
Nach dem Gutachten des EuGH gibt es Äger in der Großen Koalition. Die SPD will die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nun nicht mehr umsetzen.
Der Koalitionsvertrag verhandelt das Thema Internet in uneindeutigen Formulierungen. Entsetzen und Erwartungen liegen dicht beieinander.
Laut „Zeit“ spricht sich das Innenministerium dafür aus, ein Internet-Ministerium zu schaffen. Die Netzpolitik sei bisher „weitgehend unkoordiniert“.