taz.de -- Regierungskrise in Ankara: In der Türkei ist nichts undenkbar
Die Korruptionsaffäre hat Ministerpräsident Tayyip Erdogan geschwächt. Wie die türkische Regierung in Zukunft aussehen wird ist offen.
Auf die Türkei kommen unruhige Zeiten zu. Seit die Korruptionsaffäre Ministerpräsident Tayyip Erdogan persönlich erreicht hat, ist nicht mehr undenkbar, was sich die ganz überwiegende Mehrheit der Türken kaum mehr vorstellen konnte: eine türkische Regierung ohne Erdogan. Nach 11 Jahren an der Macht und der Perspektive, die kommenden 10 Jahre im Präsidentenamt zu verbringen, schien klar, dass Erdogan dem ersten Viertel des neuen Jahrhunderts in der Türkei seinen Stempel aufdrücken würde. Diese Sicherheit ist nun dahin.
Es kann sein, dass in den nächsten Tagen so massive Vorwürfe gegen Erdogan persönlich oder gegen ein Familienmitglied publik werden, dass die Partei ihren Vorsitzenden zum Rücktritt zwingt oder aber, was wahrscheinlicher ist, der Wähler ihn bei den kommenden Wahlen im März abstraft und er abtreten muss. Es kann aber auch sein, dass er sich mit seinem letzten Aufgebot, das sein neues Kabinett jetzt darstellt, noch einmal aus der aktuellen Krise herauswindet. Doch Erdogan ist stark geschwächt, ein starker Präsident kann er nicht mehr werden.
Bei allen Unwägbarkeiten für die kommenden Wochen ist nur eins sicher: Die Stabilität der letzten zehn Jahre ist passé. Das zeigt sich am deutlichsten an der Börse. Seit der ersten Verhaftungswelle am 17. Dezember haben die Aktienkurse an der Istanbuler Börse 10 Prozent an Wert verloren.
Für die türkische Demokratie würden sich im positiven Fall mit einem Abgang des immer autokratischer regierenden Erdogan neue Spielräume eröffnen. Die bislang marginalisierte Opposition wittert Morgenluft. Eine geschwächte AKP müsste vielleicht mit ihren Gegnern eine Koalition eingehen, die die Spaltung der Gesellschaft abmildern könnte. Das wäre der positive Ausblick.
Genauso gut aber kann die Lücke, die Erdogan hinterlassen würde, zu Chaos und einer neuen Unübersichtlichkeit führen, durch die die 90er Jahre in der Türkei schon einmal geprägt waren. Die ersten Leidtragenden davon wären die Kurden. Den Friedensschluss mit der PKK kann nur eine starke Regierung durchsetzen. Die kurdische BDP sieht die Turbulenzen, in denen Erdogan sich befindet, trotz aller Kritik am Regierungschef deshalb eher mit einem weinenden als mit einem lachenden Auge. Fest steht jetzt nur: Die kommenden Monate werden die Türkei sehr verändern.
26 Dec 2013
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