taz.de -- Innensenator über Gefahrengebiet: „Es geht um Gewalttaten“
Provokation oder Protektion? Für den Hamburger Innensenator Michael Neumann ist das Gefahrengebiet eine „Erfolgsgeschichte“.
taz: Herr Neumann, betrachten Sie die Bezeichnung „Roter Sheriff“ als Ehre oder Beleidigung?
Michael Neumann: Ich war noch nie ein Western-Freund. Aber ich bin aus Überzeugung Sozialdemokrat. Die Farbe Rot steht mir also gut.
Dennoch profilieren Sie sich gerade bundesweit als kompromissloser Verfechter von Recht und Ordnung. Ebenfalls aus Überzeugung?
Es geht nicht um Profilierung, sondern um die ureigenste Aufgabe eines Innensenators: dafür zu stehen, dass Recht und Gesetz eingehalten werden. Vor allem, wenn PolizistInnen Opfer von massiven Gewalttaten werden, muss deutlich sein, dass ein Angriff auf die Polizei ein Angriff auf unsere ganze Gesellschaft ist.
Ich persönlich fühle mich nicht angegriffen.
Das ist Ihr Problem. Für mich sind tätliche Angriffe auf diejenigen, die das Gewaltmonopol des Staates ausüben, Angriffe auf die Grundfesten der demokratischen Gesellschaft.
Leiden Hamburgs Sozialdemokraten nicht vielmehr noch immer unter dem Trauma, dass sie 2001 nach 44 Jahren Dauerregierens wegen des Themas Innere Sicherheit von der CDU und dem Rechtspopulisten Ronald Schill in die Opposition geschickt wurden?
Meines Erachtens ist die SPD damals auch wegen anderer Mängel abgewählt worden.
Innere Sicherheit war das alles beherrschende Wahlkampfthema, und Schill schaffte aus dem Stand 19,4 Prozent. Seitdem glaubt Hamburgs SPD, mit lockerer Hand bei der Inneren Sicherheit Wahlen sehr rasch verlieren zu können.
Es ist schlicht die Aufgabe eines Innensenators und der Polizei, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, egal wer regiert. Da muss man nicht so viel psychologisieren.
Sie haben seit der Nacht zu Freitag die Gefahrengebiete in Hamburg räumlich und zeitlich eingeschränkt. Wegen Erfolglosigkeit oder aus Einsicht?
Die gesetzlichen Anforderungen an die Verhängung eines Gefahrengebiets lagen nicht mehr in dem Maße vor wie bei Beginn der Maßnahmen am Wochenende davor. Die Zahl festgestellter Verstöße ist deutlich zurückgegangen. Damit hat sich diese Maßnahme als Erfolgsgeschichte erwiesen. Ich hoffe, dass sich nun die Lage weiter stabilisiert, sodass wir die Maßnahme in absehbarer Zeit ganz einstellen können. Die Polizei überprüft die Situation täglich.
Aber die jüngsten Proteste haben Sie sich doch selbst herangezüchtet. Ohne Gefahrengebiet hätte es doch Proteste dagegen logischerweise gar nicht gegeben.
Es geht nicht um die friedlichen Proteste, sondern um Gewalttaten.
Sie sind kein Verwaltungsjurist, sondern Politologe. Da sollte Ihnen doch die Geschichte sozialer Bewegungen und gesellschaftlicher Aufmüpfigkeit gegen Obrigkeiten kein Buch mit sieben Siegeln sein?
Für einen politischen Diskurs bin ich immer zu haben. Aber Gewalt kann kein Teil des Diskurses sein. Keine politische Fragestellung, die es in Hamburg geben mag, kann als Begründung für Gewalttaten herangezogen werden.
Wenn aber die Polizei Demonstrationen sehr rasch oder – wie Kritiker sagen – schon vor deren Start stoppt, höhlt sie doch das Recht der friedlichen Demonstranten auf Versammlungsfreiheit aus?
Versammlungsfreiheit bedeutet, sich friedlich und ohne Waffen unter freiem Himmel zu versammeln. Deshalb höhlen die Gewaltbereiten und Gewalttätigen, die gar kein politisches Anliegen haben, die berechtigte und verfassungsrechtlich geschützte Demonstrationsfreiheit der Friedlichen aus, nicht die Polizei.
Sie sehen keine politische Dimension, sondern nur Straftäter?
Themen wie die Rote Flora oder die Arbeitsmigranten aus Westafrika werden da missbraucht von Menschen, die diesen Staat ablehnen. Zur friedlichen Lösung von Problemen trägt das nicht bei.
Sie werfen also einem Teil des linken oder autonomen Spektrums vor, gar nicht aus politischen Gründen zu agieren, sondern Themen wie Gentrifizierung, Rote Flora oder Lampedusa-Flüchtlinge zu instrumentalisieren?
Ja. Die Menschen aus Westafrika haben sich ja selbst sehr deutlich von jeder Form von Gewalt und von Gewalttätern distanziert. Darüber bin ich sehr froh. Damit wird deutlich, dass auch sie selbst den Eindruck haben, für andere Zwecke missbraucht zu werden.
Haben Sie eigentlich – im Rückblick betrachtet – im Umgang mit der Lampedusa-Gruppe Fehler gemacht?
Diese Menschen haben den Anspruch erhoben, ohne Nennung ihres Namens und Schilderung ihrer Fluchtgeschichte hier leben und arbeiten zu dürfen. Das ist gesetzlich nicht möglich und auch eine Ungleichbehandlung gegenüber Tausenden anderen Flüchtlingen, die sich hier in das vorgesehene ordnungsgemäße Verfahren begeben.
Sie argumentieren auch jetzt wieder nur ordnungspolitisch. Politische Sensibilität spüre ich bei Ihnen nicht
Recht und Gesetz gilt nun mal für alle gleich.
Die Debatte über die Lampedusa-Flüchtlinge hat über Monate eine Brisanz angenommen, die mit zu den jüngsten Krawallen geführt hat. Hätte man als verantwortungsvoller Politiker nicht viel mehr Fingerspitzengefühl bei der Auslegung von Gesetzen zeigen müssen?
Es gab sehr früh hinter den Kulissen sehr viele intensive Gespräche mit der Nordkirche. Sie hatte diese Menschen aufgenommen und kam dann in die Situation, dieses Problem auf Dauer nicht lösen zu können. Dabei haben wir dann geholfen und gemeinsam einen Weg gefunden. Aber auch hier muss klar sein: Recht und Gesetz gelten für alle. Der Staat darf sich nicht erpressen lassen.
Bei Ihrem Amtsantritt vor drei Jahren sagten Sie im taz-Interview, Sie wollten nicht „Abschiebeweltmeister“ werden. Finden Sie, dass Sie diesem Anspruch gerecht geworden sind?
Ja. Wir gehen da sehr sensibel vor. Und wir machen eine sehr fortschrittliche und innovative Integrationspolitik mit unserer Einbürgerungsinitiative, durch die allein im vorigen Jahr in Hamburg mehr als 7.000 Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben.
Führen Sie darüber Debatten mit der neuen Staatsministerin für Integration im Bundeskanzleramt, ihrer Ehefrau Aydan Özoguz?
Natürlich. Und insbesondere mit meiner Entscheidung, die doppelte Staatsbürgerschaft zuzulassen, auch wenn die bundesgesetzliche Regelung noch nicht steht. Hamburg ist das einzige Bundesland, dass diese Optionspflicht bereits faktisch nicht mehr anwendet. Die Staatsministerin unterstützt das voll und ganz.
Nochmal zurück: Welche Rolle hat aus Sicht Ihrer Behörde bei den jüngsten Auseinandersetzungen die Rote Flora gespielt?
Keine aggressive. Ich weiß aber nicht, wie sich die Szene genau positionieren wird. Es scheint dort eine neue Form der Nachdenklichkeit zu geben. Ich kann da nur appellieren, den Weg des politischen Dialogs unter Akzeptanz der gegenseitigen Existenz wieder zu beschreiten.
Vor etwa vier Jahren baten Sie als damaliger SPD-Fraktionschef und Oppositionsführer in der Hamburgischen Bürgerschaft die Hamburger taz-Redaktion, Ihnen direkte Gespräche mit der Roten Flora zu vermitteln. Die Rotfloristen lehnten damals dankend ab. Wäre jetzt wieder Zeit für Gespräche?
Voraussetzung für alle Gespräche, die ich gerne führe, ist das Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit.
Von Ihnen oder von der Roten Flora?
Bei mir ist das fraglos der Fall, beim Gesprächspartner hoffentlich auch.
Dann übermitteln wir hiermit gerne Ihr Gesprächsangebot.
Danke. Gespräche sind immer besser als Gewalt.
12 Jan 2014
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