taz.de -- Gefahrengebiet in Hamburg: Behördengerechte Satire

Ein besorgter Bürger möchte seine Tante besuchen und bittet um Informationen über Hamburgs Gefahrenzone. Darf er einreisen?
Bild: Der Bildbeweis: So gefährlich ist Hamburg.

Kafkaeske Zustände: Nachdem sogar die US-Botschaft vor der Gefahrenzone in Hamburg warnte, zog ein Mann aus Köln die Konsequenz. Er beantragt eine Einreisegenehmigung beim Bundesinnenministerium. Doch die Behörden nehmen ihn nicht ernst.

Dass das Gefahrengebiet tatsächlich gefährlich sein soll, zeigen vor allem die Warnungen von offizieller Seite. Nicht nur der Hamburger Senat warnt vor einem Aufenthalt in der Gegend um St. Pauli, Altona und der Sternschanze, die nach einer eskalierten Demonstration Ende Dezember von der Polizei zur No-Go-Area erklärt wurde. Auch die US-Botschaft sah sich genötigt, [1][in einem offiziellen Sicherheitshinweis] darauf hinzuweisen, dass auch friedliche Demonstrationen in Gewalt ausarten könnten und man daher jede Art von öffentlicher Zusammenkunft meiden sollte.

[2][Wie der Kölner in der E-Mail] ans Ministerium mitteilt, hätten ihm Bekannte, die vor kurzem nach Ägypten reisten, zu diesem Schritt geraten. Dort sei „die Sicherheitslage ja ähnlich brenzlig.“ Deshalb erbittet er umfassende Informationen über den angemessenen Verhaltens- und Kleidungskodex. Immerhin habe er gehört, dass dunkle Kleidung „bei dem doch recht aggressiven Sicherheitspersonal nicht gut ankommt.“

Die Antwort des Innenministeriums kam schnell, fiel aber ernüchternd aus. Man sei zwar „bemüht, die seinen Dienst- und Fachaufsichtsbereich betreffenden Anfragen der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zeitnah und so umfassend wie möglich zu beantworten.“ Doch da der „Wille zu Führung einer sachbezogenen inhaltlichen Auseinandersetzung“ nicht erkennbar sei, könne man ihn „nicht beraten.“

Der Antragssteller ließ nicht locker und verwies darauf, dass die Ausweisung des Gefahrengebiets von dem Ministerium unterstellten Behörden erfolgte. „Ich wäre schockiert, wenn Sie es dann nicht sind, die deutsche Staatsbürger über die Bedingungen vor Ort adäquat aufklären können.“ Von der Einreisegenehmigung verspreche sich er eine „Schutzfunktion vor stadtstaatlicher Willkür“ und bittet darum, eine „solche ernsthafte Angelegenheit nicht aufgrund ihrer (bisherigen) Unvorstellbarkeit als Witz zu betrachten.“

Dass der seit Samstag bestehende Ausnahmezustand, von dem rund 80.000 Einwohner betroffen sind, kein Witz ist, zeigen auch die vielen [3][kritischen Reaktionen aus der Politik]. Sowohl die Grünen, die FDP als auch die Linke kritisierten das Vorgehen der Behörden scharf, während der SPD-Landeschef Ralf Stegner einerseits für Verhältnismäßigkeit, andererseits für eine „Null-Toleranz-Strategie“ plädierte.

9 Jan 2014

LINKS

[1] http://www.tagesspiegel.de/downloads/9302006/4/Reisewarnung.pdf
[2] https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10152133845829805&set=a.10152079466339805.1073741828.191938479804&type=1&theater
[3] /Hamburgs-Gruene-wollen-Debatte/!130681/

AUTOREN

Philipp Rhensius

TAGS

Gefahrengebiet
Hamburg
Satire
Demonstrationen
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Gefahrengebiet
Rote Flora
Polizei
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Hamburg
Hamburg
Hamburg
Hamburg
Gefahrengebiet

ARTIKEL ZUM THEMA

Innensenator über Gefahrengebiet: „Es geht um Gewalttaten“

Provokation oder Protektion? Für den Hamburger Innensenator Michael Neumann ist das Gefahrengebiet eine „Erfolgsgeschichte“.

Gefahrengebiet in Hamburg: Petersilie und Sozialismus

Die Polizei hat aus dem großen Gefahrengebiet in Hamburg drei kleinere gemacht. Der Widerstand nimmt immer vielfältigere Formen an.

Gefahrengebiet in Hamburg: Ruhe in St. Pauli, Angst um Berlin

Nach der Demo am Samstag, mit Klobürsten als Protestsymbol, ist die Nacht in Hamburg friedlich geblieben. Innenexperten fürchten Auswirkungen in Berlin.

Kommentar Ende des Gefahrengebiets: Sieg oder Niederlage?

Es ist keine gute Idee, die Polizei selbst über ihre Befugnisse entscheiden zu lassen. Denn sie neigt dazu, ihre eigenen Interessen über die der Allgemeinheit zu stellen.

Gefahrengebiete werden verkleinert: Nur noch halbe Gefahr

Hamburgs Polizei reduziert die Kontrollzonen räumlich und zeitlich. Die Opposition will sie ganz kippen, Bürgermeister Scholz verteidigt sie.

Hamburgs Grüne wollen Debatte: Reden übers Gefahrengebiet

Die Bürgerschaftsfraktion der Grünen will in der nächsten Parlamentssitzung übers Gefahrengebiet beraten. Kritisiert wird der massive Eingriff in die Grundrechte.

Militanzdebatte unter Linken: Mit Molli oder ohne

Die Krawalle in Hamburg haben eine neue Gewaltdebatte entfacht. Die Angriffe auf Polizisten stoßen auf Widerspruch.

Gefahrengebiet in Hamburg: Polizei im Dauerstress

Eine Region mit 80.000 Menschen befindet sich im Ausnahmezustand. Die Polizei kontrolliert, Anwohner machen Stadtteilrundgänge.

Gefahrengebiet in Hamburg: Guerilla-Kritik im Internet

Die Kritik am umstrittenen Gefahrengebiet in Hamburgs Innenstadt findet zurzeit besonders im Netz statt. Und ist dabei vor allem: kreativ, zynisch und satirisch.