taz.de -- Weißrusslands Blick auf die Ukraine: Feuer und Flamme für den Nachbarn

In Weißrussland sympathisieren viele mit den Protesten in der Ukraine. NGOs fordern westliche Politiker als Vermittler und kritisieren deren Zurückhaltung.
Bild: Weißrussische Flagge der Jahre 1991-1995 in Kiew.

MINSK taz | Seit Donnerstag liegen vor dem Denkmal des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko im Zentrum von Kiew Blumen. Sie wurden dort von Weißrussen abgelegt, zum Gedenken an die vor wenigen Tagen hier getöteten Aufständischen – eines der Opfer stammte aus Weißrussland.

In Kiew sind seit November 2013 Weißrussen zu finden, sei es auf dem Maidan, im Brennpunkt des Geschehens – auf der Bankowa, dort, wo sich die Präsidialverwaltung befindet –, oder der Gruschewskaja Uliza (Straße), dem Schauplatz der gewaltätigen Ausschreitungen. Es ist nicht schwer, sie ausfindig zu machen. Auf den Barrikaden, neben der Bühne auf dem Maidan, überall sind die weiß-roten Flaggen Weißrusslands zu sehen.

Die Menschen, die aus dem Nachbarland in die Ukraine reisen, um auf den Maidan zu gehen, sind verschieden: Journalisten, Menschenrechtler, zivilgesellschaftliche Aktivisten, Musiker (schon bekannte weißrussische Bands wie Ljapis Trubezkoi und Drum Ectasy traten auf) sowie Oppositionspolitiker.

Während der ersten Erstürmung des Maidan am 11. Dezember wurde die Weißrussin Natalja Gorjatschko über Nacht berühmt. Sie reckte die weiß-rote Flagge vor der Bühne in die Luft. Weißrussische Journalisten berichteten von vorderster Front, und dutzende weißrussische Männer hielten zusammen mit den ukrainischen Protestlern dem Ansturm der Spezialeinheiten auf die Institutskaja Uliza stand.

Die Unterstützung der ukrainischen Protestbewegung war für den demokratisch eingestellten Teil der weißrussischen Bevölkerung von Anfang an eine Selbstverständlichkeit.

Solidarität mit den Protesten

Als sich die Protestformen nach dem 19. Dezember kurzzeitig radikalisierten und die ersten Molotowcocktails von Seiten der Protestler flogen, wurde die mögliche Entwicklung der Geschehnisse in der Ukraine in den sozialen Netzwerken zunächst nur wenig diskutiert. Schon einen Tag später ersetzten viele Weißrussen jedoch auf Facebook ihr Profilbild durch eine ukrainische Flagge, um so ihre Solidarität und ihr tiefes Mitgefühl für das ukrainische Volk auszudrücken.

Mittlerweile sind die Meinungen im Netz geteilt. Einige plädieren für eine alsbaldige Versöhnung und ein Ende der Kampfhandlungen. Die anderen sind der Meinung, mit friedlichen Maßnahmen nichts mehr bezwecken zu können.

Am 19. Januar, dem Tag, als in Kiew die ersten Todesopfer gemeldet wurden, riefen weißrussische NGOs und Aktivisten die Regierenden der europäischen Länder, die EU, das EU-Parlament, die USA, Russland, die ukrainische Regierung sowie das ukrainische Volk zu einem Ende des Blutvergießens auf.

Das war allerdings nicht die erste Petition dieser Art. Schon vorher hatte die weißrussische Zivilgesellschaft Appelle an die ukrainische Regierung gerichtet, die Demonstranten friedlich zu behandeln und auf ihre Forderungen einzugehen.

Ein Déjà-vu

Nach dem 19. Januar schlug der friedliche Protest in Kiew abermals in Gewalt um. Die weißrussischen NGOs und zivilgesellschaftliche Aktivisten fordern das persönliche Erscheinen von Vertretern der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen in Kiew, um eine Eskalation des Konflikts zu verhindern und somit zu einer Lösung beizutragen.

Derzeit gilt eine Art Waffenstillstand für die Zeit der Gespräche zwischen Präsident Viktor Janukowitsch und den Führern der politischen Opposition. Nun wollen wieder viele Weißrussen nach Kiew kommen und die Ukrainer unterstützen.

Für das weißrussische Volk sind die Geschehnisse in der Ukraine ein Déjà-vu. Bereits 2006 und 2010 hatte es in der Hauptstadt Minsk Proteste im Zuge der Präsidentschaftswahlen gegeben. Zehntausende gingen damals gegen den „Sieg“ des Autokraten Alexander Lukaschenko auf die Straßen. Die Weißrussen erinnern sich nur allzu gut daran, was dann folgte: blutige Zusammenstöße mit Sicherheitskräften der Miliz, Verhaftungen, Verurteilungen, Durchsuchungen – kurz: Terror. Einige der damals verhafteten Oppositionspolitiker sitzen noch heute hinter Gittern.

In Kiew braucht es jetzt europäische und amerikanische Politiker sowie Vertreter internationaler Organisationen als Vermittler. Doch aus dem Westen kommen ganz unterschiedliche Signale: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zieht Sanktionen gegen die Ukraine derzeit nicht in Betracht, andere Politiker dagegen schon. Eine derart unentschlossene Haltung gegenüber der Ukraine wird aber den Konflikt verschärfen und zu weiteren Opfern führen.

Aus dem Russischen: Ljuba Naminova

26 Jan 2014

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