taz.de -- Kommentar Timoschenko: Julia und das alte Regime
Was sie von Wiktor Janukowitsch unterscheidet, ist lediglich der Zopf. Für viele Menschen repräsentiert Julia Timoschenko die ehemalige Staatsmacht.
Der Umsturz ist gelungen, Expräsident Janukowitsch wird mit einem Haftbefehl der neuen provisorischen Regierung gesucht, seine opulente Villa durfte vom armen Volk bewundert werden; er lebte weitaus luxuriöser als einst die SED-Oberen in Wandlitz. Die Menschen auf dem Maidan haben gefeiert mit Totengedenken, Lichtern, Feuerwerk, Hymnen.
Die Gefühle wurden durch den Auftritt der freigelassenen Julija Timoschenko noch gesteigert; das Ansehen der Revolutionsführer Klitschko und Jazenjuk war schon verblasst. Sie kann mit ihren Reden noch immer große Menschenmengen rühren. Das konnte sie schon 2004 während der Orangen Revolution. Sie sagt es noch nicht, aber fast alle glauben es zu wissen: Sie will bei den Wahlen am 25. Mai Präsidentin werden.
Dafür spricht einiges. Sie hat ihre Durchsetzungskraft immer wieder bewiesen, auch wenn sie 2010 im Präsidentschaftswahlkampf knapp gegen Janukowitsch unterlag. Von einer Justiz, die den Weisungen ihres Präsidenten folgte, wurde sie mit fadenscheinigen Begründungen eingekerkert, krank gehalten und gedemütigt. Sie war ein Opfer, und das sah man ihr auf dem Maidan noch an.
Nun ist sie auf der einen Seite ein Glücksfall. Anders als all die Amateure der Revolution ist sie mit allen politischen und wirtschaftlichen Wassern gewaschen. Sie hat sich in vielen Ämtern bewiesen. Sie weiß, wie Intrigen eingefädelt werden. Wer, wenn nicht sie, kann den korrupten ukrainischen Staatsapparat beherrschen. Sie verstand sich mit Putin besser als Janukowitsch, sie war mit Öl- und Gasgeschäften mit Russland zur Oligarchin geworden.
Integrationsfigur dank Opferrolle
Aber sie hat Gegner. Die einen sind jene, die sich an die Zeiten erinnern, als sie mächtig war und die jetzt eine demokratische Revolution erstrebten. Auch die EU könnte sich eine Ukraine ohne ihre Präsidentschaft gut vorstellen. Sie war als Opfer eine wichtige westliche Integrationsfigur, das ist sie nicht mehr.
Ganz gegen sie ist der „Rechte Sektor“ des Maidan, sind die radikalen Nationalisten, die ihr nicht zujubelten und die auch nicht der Aufforderung ihrer Vaterlandspartei folgen wollten, jetzt den Maidan zu räumen. Von ihnen, die die Mehrheit der aktiven Straßenkämpfer stellten, geht keine Begeisterung aus. Für die demokratische Opposition schließlich repräsentiert sie eher das alte Regime. Was sie von Janukowitsch unterscheide, heißt es, sei der Zopf.
24 Feb 2014
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