taz.de -- „Sexuelle Vielfalt“ in Baden-Württemberg: Aufschrei der Konservativen
Das aufklärerische Projekt ist nicht storniert, nur eingebettet. Das ist viel wert. Doch der Protest gegen die Kritiker ist zu zahm.
Natürlich, das politische Geschäft ist das des Bohrens dicker Bretter. Wer auch immer diese zutreffende These je erfunden hat – zugeschrieben wird sie Günter Grass, Willy Brandt, vor allem Herbert Wehner – wusste, dass mit radikalinskihafter Verve in der demokratischen Arena kein Blumenpott zu gewinnen ist.
Wer Reformerisches im Sinne des Aufklärerischen durchsetzen möchte, muss mit Gegenwind rechnen – wie etwa in Baden-Württemberg der jener Petitionsmenschen, die gegen eine gewogene Verhandlung von Lehrstoff zu Sexuellem, vor allem Nichtheterosexuellem wütig protestierten. So ist das in einer Republik, so lernen auch Linke: Der Aufschrei der Empörung kann auch von Evangelikalen, Konservativen, jedenfalls, aus alternativer Sicht, Missliebigen mit Kraft befördert werden.
Aber haben diese jetzt gewonnen, weil sie erreicht haben, dass die besondere Behandlung von sexuellen Lebensformen, die nicht nach dem Mann-Frau-Kind-Familien-Schema gestrickt sind, sozusagen transzendiert wird: Statt der Extraerwähnung soll es nun Curriculares in einem höheren Sinne geben, das allgemein Toleranz fördert?
Am Mittwoch wurde ja aus Stuttgart zunächst falsch – [1][seitens der FAZ besonders] – vermeldet, dass die auf moralische Heteroprivilegien erpichten Christen erreicht haben, dass der „Bildungsplan“ kassiert worden sei. Aus der Nachricht sprach mehr Hoffnung denn Tatsachenorientierung. Das in der Tat aufklärerische, nicht propagandistische Projekt der grün-roten Regierung ist nicht storniert, nur stärker eingebettet.
Das klassische Mutti-Vati-Muster
Auf der Nachrichtenplattform [2][queer.de] formulierte Autor Norbert Blech: „Das Ergebnis zählt“, und argumentierte, dass in Wahrheit Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Opponenten salviert habe, ohne ein Jota vom Ansinnen abzurücken, im Schulunterricht Schwules, Lesbisches, Transsexuelles oder Intersexuelles nicht mehr als zweitrangig zu entwerten.
Das ist wirklich viel wert als Fortschritt – denn bislang galt Heterosexuelles als Ziel aller schulischen Pädagogik: Das Brett konnte ziemlich kräftig gebohrt werden. Denn offenbar ist sehr vielen sexuell andersgeschlechtlich orientierten Menschen die Idee nicht auszutreiben, dass sie eigentlicher, besser, naturnaher, jesusverwandter sind als Menschen, die das eigene Geschlecht sexuell bevorzugen, jedenfalls nicht in die Fahrwasser des klassischen Mutti-Vati-Musters geraten wollen.
Was man aber vermissen darf, aller leisen, sachten Bretterbearbeitung zum Trotz: Dass man sich über diese Christen erzürnt. Dass man ihnen auch laut sagt, dass ihre Fantasie vom Christentum gottlos ist und fern aller Nachfolge Jesu Christi. Weshalb ist selbst der Bischof nicht voller Zorn eingeschritten wider die Pharisäer, die, im Sinne der biblischen Logik, Gotteslästerliches tun?
Denn war deren Ansinnen nicht ähnlich falsch wie das der Sklavereibefürworter in den USA, ehe Präsident Lincoln in einem Meisterstück an Bretterbohrerei dem Spuk verfassungsrechtlich ein Ende setzte? Was wäre, wenn solche Evangelikalen nun anfingen, das Wahlrecht für Frauen anzuzweifeln?
Das sollen absurde Vergleiche sein? Die die Verhältnismäßigkeit verkennen? Man frage schwule oder lesbische SchülerInnen oder LehrerInnen, ob sie ihre schulische Verzweitrangung, die bislang galt, gut fanden. Das politische Handwerk, soll es gelingen, ist oft ein stilles; es kommt hinter den Kulissen am ehesten zum Tragen. Aber hätte in der Frage der queeren Lehrpläne nicht mehr Empörung diesen Christen wenigstens Respekt eingeflößt – und ihnen das Gekreisch schwerer gemacht?
10 Apr 2014
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