taz.de -- Irak und Krise im Nahen Osten: Zaungäste aus dem Westen
Der Westen verliert im Nahen Osten zunehmend an Einfluss. Die wirklichen Akteure sind die Regionalmächte. Darin liegt eine Chance für Frieden.
KAIRO taz | Er schließe nichts aus, erklärte US-Präsident Barack Obama auf die Frage von Journalisten, ob es im Irak Luftschläge geben könne. Ein Einsatz von Bodentruppen sei allerdings ausgeschlossen. Wieder einmal wird in Washington über einen Militärschlag in der arabischen Welt nachgedacht. Dabei ist ausgerechnet die Geschichte amerikanischer Intervention im Irak ein Paradebeispiel dafür, dass man innere Machtverhältnisse auch mit den stärksten Armeen am Ende nicht in seinem Sinne verändern kann.
Zwar hatte sich nach dem US-Einsatz zunächst in Bagdad eine Regierung mit engen Verbindungen nach Teheran etabliert, aber inzwischen werden große Teile des Landes von militanten Islamisten überrannt, gegen die al-Qaida harmlos ist, ideologisch gesehen. Alles sicherlich nicht im Sinne aller jener, die von der Neuordnung des Nahen Osten geträumt hatten.
Dass man mit militärischer Überlegenheit wenig ausrichten kann, diese Lektion mussten auch die Israelis lernen. Sie hatten 2006 im Libanonkrieg versprochen, die Hisbollah auszuschalten oder zumindest zu schwächen. Heute sitzt die „Partei Gottes“ in Beirut mit in der Regierung. 2009 im Gazakrieg wollte man das Gleiche mit der Hamas tun. Das Ergebnis ist bekannt.
Auch ein Militärschlag gegen Syrien wurde immer wieder diskutiert, von Obama am Ende aber wieder abgeblasen. Militärs fragen Politiker immer als Erstes, mit welchem strategischen Ziel sie eingreifen sollen. Was kommt nach den ersten Fernsehnächten, wenn das Fadenkreuz sich auf grünlichem Hintergrund ins Ziel einloggt und kurz darauf unten Rauch aufsteigt? Genau diese Frage konnte Obama für Syrien nicht beantworten. Eigentlich will Washington weder, dass das Regime Assad die Zeit zurückdreht, noch, dass die heiligen Isis-Krieger die Oberhand gewinnen.
Ratlosigkeit in den USA und der EU
Tatsache ist, der Nahe Osten ordnet sich neu. Und der westliche Einfluss darauf ist gering.
Der Irak wurde durch die Isis-Offensive kalt erwischt. Und das, obwohl ein Blinder, und damit auch die westlichen Geheimdienste, hätte sehen müssen, wie groß der Unmut der Sunniten darüber geworden war, aus dem politischen System vollkommen ausgeschlossen zu sein. Die Situation war am Überkochen. Und so durften die USA zwar helfen, ein neues irakisches Militär aufzubauen, das nun die Füße in die Hand genommen hat. Regierungschef Nuri al-Maliki davon zu überzeugen, die Sunniten mit an Bord zu nehmen, um genau das zu verhindern – so weit ging die amerikanische Einflussnahme in Bagdad aber nicht mehr.
Auch in Sachen Syrien herrscht in den USA und in Europa große Ratlosigkeit. Ein Teil des Landes wird von heiligen Kriegern aus aller Welt beherrscht, ein anderer von einem Regime, das nicht davor zurückschreckt, das Land in Schutt und Asche zu legen, um sich an der Macht zu halten. Man hat es weder geschafft, die Kontrahenten zu einer politischen Lösung zu bringen, noch konnte man eine effektive politische Alternative zu Assad aufbauen und durch deren Unterstützung die Dinge in die gewünschten Bahnen lenken.
Libyen, einst mithilfe der Nato von Diktator Gaddafi befreit, ist gespalten. Über Khalifa Haftar, einen abtrünnigen General, scheiden sich die Geister: Für die einen ist er Held, für die anderen Putschist. Wird sein Kampf gegen die islamistischen Milizen das Land stabilisieren oder genau das Gegenteil erreichen? Sicher ist nur: Inzwischen gibt es so viele Opfer wie seit dem Aufstand gegen Gaddafi nicht mehr. Haftar hat zwar von früher her Verbindungen zum CIA, ist aber offenbar auf eigene Rechnung unterwegs. Der Nato wird für ihren Einsatz gedankt, in politische Einflussnahme hat sich das in Libyen nicht übersetzt.
Und dann ist da noch Ägypten. Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi hat versprochen, richtig aufzuräumen. Die Muslimbruderschaft, einst Wahlsieger, wird als Terrorgruppe kriminalisiert, auch Teile der säkularen Tahrir-Jugend werden weggesperrt. Massentodesurteile fallen im Schnellverfahren. Al-Sisi sieht die Opposition als Sicherheitsproblem, nicht als politische Kraft, mit der es sich zu arrangieren gilt. So schraubt sich in Ägypten zwischen staatlicher Repression und sich radikalisierender Opposition die Spirale des Konflikts unermüdlich nach oben.
Die EU hat ihre Prinzipien aufgegeben
In Europa ist man hin und her gerissen. Geht es nach demokratischen Werten, müsste man den Putsch vom vergangenen Sommer und die eklatanten Verletzungen der Menschenrechte verurteilen. Geht es um Interesse, versucht man, mit al-Sisi im Gespräch zu bleiben. Die Europäer haben sich in Ägypten sogar als Wahlbeobachter angedient, nachdem al-Sisi in dem politisch tief zerrissenen Land 97 Prozent erreicht hatte, aber keine allzu kritischen Worte gefunden. Die EU und ihre Außenbeauftragte Catherine Ashton haben ihre Prinzipien aufgegeben, um sich ein wenig Einfluss in Ägypten zu erkaufen. Im Ergebnis haben sie heute aber weder Prinzipien noch Einfluss.
Selbst Geld ist kein Argument mehr. Zwar drohen die USA immer wieder, die 1,3-Milliarden-Hilfe für Ägypten einzufrieren. Aber weil die Dollars vor allem in den militärischen Bereich fließen, würde das auch den US-Waffenherstellern schaden. Im Vergleich zu den zweistelligen Milliardensummen, die al-Sisi aus den Golfstaaten erhalten hat, sind sie ohnehin Peanuts.
Unterm Strich heißt das: Die Zeiten haben sich geändert. Europa und die USA werden im Nahen Osten zunehmend zu Zaungästen degradiert. Andererseits nimmt der Einfluss der Regionalmächte Türkei, Iran, Saudi-Arabien und – je nach innerer Turbulenz – auch wieder Ägyptens zu.
Das Chaos kontrollierbar halten
Die wichtigsten Köche in der syrischen Küche sind heute der Iran aufseiten des Regimes und aufseiten der Rebellen die Türkei und Saudi-Arabien. Es ist in vielerlei Hinsicht ein Stellvertreterkrieg. Egal ob Nato-Mitglied oder westlicher Verbündeter: Ankara und Riad verfolgen in der Region eigene nationale Interessen. Was im Irak und in Syrien gern als Religionskonflikt zwischen Sunniten, Schiiten und Alawiten dargestellt wird, ist in Wahrheit ein Kampf der Regionalmächte um Einflussphären. So liegen die Schlüssel zur Lösung des Syrienkonflikts in Teheran, Riad und Ankara und nicht in Washington und Moskau.
Genau darin besteht eine Chance der neuesten Entwicklungen im Irak. Denn im Interesse aller drei Regionalmächte ist es, wenn das Chaos dort für sie kontrollierbar bleibt. Gerade aber droht es außer Kontrolle zu geraten. Teheran hat kein Interesse an einem sunnitischen Aufstand, der die schiitische Herrschaft in Bagdad und damit seinen Einfluss bedroht. Die Türkei ist an keiner Teilung des Irak gelegen, weil sie die dortigen Kurden stärkt. Saudi-Arabien hat erst kürzlich seinen Geheimdienstchef Bandar bin Sultan entlassen, den Hauptarchitekten der saudischen Syrienpolitik – ein Hinweis darauf, dass Riad die extremistischen Geister selbst unheimlich geworden sind, die man zur Bekämpfung Assads nach Syrien gerufen hat, und die sich jetzt im Irak ausbreiten.
Ob sich die Regionalmächte zusammenraufen, steht noch in den Sternen. Sicher ist: Anders als früher halten sie heute das Zepter für die Region in Händen. Der Westen kann nicht mehr gegen sie, sondern nur noch mit ihnen Politik machen.
Nach Obamas Ankündigung, er schließe auch eine militärische Option im Irak nicht aus, twitterte ein Witzbold: „So, und was passiert jetzt als Nächstes. Geben die USA jetzt den iranischen Truppen Luftunterstützung?“
14 Jun 2014
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