taz.de -- taz-Reporter auf Zeitreise: Im Land der Lenin-Statuen
Transnistrien ist eine von der Republik Moldau abgespaltene Region. Hier ist die UdSSR 24 Jahre nach ihrem Ende noch lebendig.
TIRASPOL taz | An einem sonnigen Tag auf der Terrasse des Cafés Kaffeemania im Zentrum von Tiraspol: Höflich, fast schüchtern mischt sich der Herr in grauem Anzug, weißem Hemd und polierten Schuhen in unser Gespräch ein. „Sie haben sicherlich nichts dagegen, wenn ich Ihnen vielleicht die eine oder andere Frage stelle.“ Wer kann so ein freundliches Angebot abschlagen?
Um seiner „Bitte“ Nachdruck zu verleihen, fügt der Mann hinzu: „Sie haben doch gar keine Wahl. Vielleicht nicht hier, am besten wir gehen in mein Büro. Ist nur eine Formsache, maximal zehn Minuten. Ich bin übrigens Pjotr Iwanowitsch, arbeite für das Komitee der Staatssicherheit direkt hier in Tiraspol.“ Er sagt nicht: in der „Hauptstadt“ der von keinem Staat der Welt anerkannten „Transnistrischen Moldauische Republik“ im Osten der Republik Moldau.
Auf dem Weg in das „Büro“ befragt Pjotr den ausländischen Gast interessiert nach seinen Eindrücken von Land und Leuten. Galant lässt er Olessja, der Dame unter seinen „Gästen“, den Vortritt beim Eintritt in das Gebäude, auf dem in großen Lettern der Schriftzug „KGB“ prangt. „Ich hoffe, Sie werden die zehn Minuten verschmerzen können.“ Olessja lächelt. „Klar, kein Problem,“ sagt die 30-jährige, „bin gerade in meiner Mittagspause.“
Doch schon kurz nach Übertreten der Schwelle ist es zu Ende mit der Höflichkeit. Aus den angekündigten „zehn Minuten“ wird ein mehrstündiges Verhör. In energischem Ton werden die „Gäste“ aufgefordert, Handys, Kameras und Diktiergeräte bei dem bewaffneten Herrn an der Pforte abzugeben. Dann werden sie getrennt und in die Gesprächszimmer geführt.
Gast der KGB
In einem absolut kahlen Verhörraum erklärt ein Beamter in bestem Amtsrussisch den Grund für den Gesprächsbedarf: Ausländische Journalisten könnten nicht einfach so in Cafés Bewohner der Hauptstadt nach ihrer Befindlichkeit befragen. Dafür bedürfe es schon einer Akkreditierung. Und wer diese nicht vorweisen könne, habe ein großes Problem. Aber das lasse sich leicht beheben. Eine kurze Erklärung über den Grund des Aufenthalts, eine Unterschrift – und schon könne man das KGB-Gebäude wieder verlassen.
Unruhe kommt in das Gespräch, als der Interviewer erkennt, dass er eine Erklärung über den Sinn des Aufenthalts des ausländischen Gastes nur nach einem Telefonat mit der deutschen Botschaft erhalten könne. Die liegt in Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau – also in Feindesland. „Dann muss ich Sie wohl sofort an die Grenze bringen, und wie Sie dann weiterkommen, das ist dann schon Ihr Problem“, droht der freundliche Beamte, der eigentlich wissen müsste, dass ein Ausländer, der am Abend an irgendeinem Grenzübergang aus dem Wagen gesetzt wird, ziemlich verloren ist. Und der Beamte verlässt den Raum. Über eine Stunde braucht er, bis er zurückkommt, um zu sagen, dass man ein freier Mensch sei und das KGB-Gebäude verlassen könne.
„Welcome back in the USSR“, begrüßte uns ein Journalist in Tiraspol. Er weiß, wovon er spricht. In dem 400.000-Einwohner-Gebilde Transnistrien gibt es zehnmal mehr Lenin-Denkmäler als in der knapp vier Millionen Einwohner zählende Republik Moldau, von der sich das Gebilde 1990 abgespalten hat. In den 24 Jahren seitdem konnte die Region, die sich als Staat versteht, ganz gut in diesem „eingefrorenen Konflikt“ überleben.
De-fakto unabhängig
Längst hat man sich mit dem einstigen Feind in der Republik Moldau, dem man 1992 in einem blutigen sechswöchigen Krieg eine De-facto-Unabhängigkeit abgetrotzt hatte, arrangiert. Seitdem sind Moldauisch, Ukrainisch und Russisch gleichberechtigte Staatssprachen in Transnistrien, alle Pässe, Geburtsurkunden und andere wichtige Dokumente sind in allen drei Idiomen verfasst. Umgangssprache ist jedoch ausschließlich das Russische. Ein großer Teil des transnistrischen Handels – und des Schmuggels – läuft trotzdem über die Republik Moldau, deren Pass ein Drittel der Bewohner des De-facto-Staates besitzen.
Die anderen haben russische oder ukrainische Ausweise. Auch damit konnte man hier bisher gut leben. Doch spätestens mit Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens, das die ehemalige Moldauischen Sozialistische Sowjetrepublik am 27. Juni mit der Europäischen Union unterzeichnen will, wird es mit der Ruhe der 400.000 östlich des Flusses Dnjestr lebenden Menschen zu Ende sein. Schon heute leben fast die Hälfte von ihnen die meiste Zeit im Ausland. Wirtschaftlich wird Transnistrien von Russland künstlich am Leben erhalten.
Mittlerweile verhält sich auch die Ukraine, der andere große Nachbar der nicht anerkannten Republik, zunehmend feindlich gegenüber den Separatisten am Dnjestr. Nicht nur das Drittel der Bewohner, das über einen russischen Pass verfügt, traut sich seit Jahresbeginn nicht mehr über die Ostgrenze. Auch Transnistrier mit ukrainischen oder moldauischen Pässen bekommen dort seit Beginn des Konflikts mit Russland immer öfter Ablehnung zu spüren.
„Ich habe meine Ausbildung in einer kleineren Stadt in der Ukraine gemacht,“ berichtet Nadeschda, die einen ukrainischen Pass hat und in Tiraspol wohnt. „Eines Tages gab man mir in der Universität zu verstehen, dass es wohl besser sei, wenn ich wieder nach Hause fahren würde. Mit ’Separatisten‘ wolle man nichts mehr zu tun haben.“
„Ohne Putin sind wir verloren“
Auch als Transitland für die Waren nach Russland fällt die Ukraine seit mehreren Monaten aus. „Wir setzen jetzt unsere ganze Hoffnung in Wladimir Putin“, erklärt Alexander Savich in einem Café. „Deswegen haben wir im Mai unter dem Dach der Russischen Gemeinschaften Transnistriens Unterschriften an Präsident Wladimir Putin gesammelt, damit der unsere Republik in das Staatsgebiet der Russischen Föderation aufnimmt. Ohne Putin sind wir verloren.“
150.000 Bürger Transnistriens hätten den Brief an Moskau unterschrieben. Wenn man berücksichtige, dass sich mindestens 100.000 im Ausland aufhielten, sei das immerhin die Hälfte der Bevölkerung. Große Hoffnungen setze man auch auf die Idee, einen neuen Staat zu gründen: „Novorossija“, zu Deutsch „Neurussland“, das auch das 100 Kilometer entfernte Odessa und andere Teile der Südostukraine umfassen soll. Denn dann sei man nicht mehr vom Mutterland abgeschnitten.
Die Macht des Sheriff-Konzerns
Neben Lenin-Denkmälern vor Fabriken, städtischen Gebäuden und in Alleen begegnen Besuchern Transnistriens auf Schritt und Tritt Tankstellen, Fabriken und Geschäfte, die alle den selben Namen tragen: „Sheriff“. Der 1993 von Viktor Guschan und Ilja Kasmaly gegründete gleichnamige Konzern besitzt Zementwerke, metallurgische Fabriken, Bäckereien, alle Tankstellen, den Mobilfunkbetreiber Interdnestrcom. Den Firmengründern gehört auch der international renommierte Fußballverein FC Sheriff Tiraspol.
Als Betreiber des Kasinos der transnistrischen Hauptstadt hält Sheriff zudem das Monopol über das Glücksspiel in der Region. Nach wie vor besteht ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Unternehmen und der politischen Elite. Viele Bewohner bezahlen lieber etwas mehr für einen moldauischen Mobilfunkanschluss, weil sie fürchten, dass Interdnestrcom und seine Muttergesellschaft der Staatssicherheit sämtliche Daten und Abhörmöglichkeiten überlassen. Sheriff sagt man eine enge Zusammenarbeit mit dem KGB nach.
Bei der Reise durch das vier bis vierzig Kilometer breite und zweihundert Kilometer lange Gebiet Transnistriens spürt man den Geist, der in einem der letzten Reservate der Sowjetunion herrscht. „Wie soll ich hier leben können“, beklagt sich Dmitri über die Rechtlosigkeit. „Ein Freund von mir wurde unter dem Verdacht, er habe sich als Hacker in russische Banken eingeloggt, vor vier Jahren verhaftet. Bis heute wartet er auf eine Anklageerhebung. Und wenn sie mir morgen Drogen unterschieben, um mich dann zu verhaften, bin ich machtlos.“
Dmitri wohnt in einem sechs-stöckigen Haus, das zur Hälfte leer steht. Zwei Stockwerke unter ihm lebt Michail. Der 24-Jährige ist seit den Misshandlungen, die er beim Militär erlitten hatte, Invalide und muss von 60 Euro Rente leben. Würde sich seine Mutter nicht um ihn kümmern, könnte sich Michail nicht einmal mit Lebensmitteln versorgen. „Der Staat interessiert sich überhaupt nicht für seine Bewohner“, sagt er. Die Zahl der Tuberkulosekranken habe schon lange die Schwelle zur Epidemie überschritten. Michail will vor allem eins: „weit weg von hier“. Erfüllen können wird er sich diesen Wunsch wohl nur, wenn er seine Mutter dafür gewinnen kann.
17 Jun 2014
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