taz.de -- Krise in der Ukraine: Putin bringt neuen Staat ins Gespräch

Putin will über einen separaten Staat in Teilen der Ukraine verhandeln. Die EU droht mit neuen Sanktionen und gibt Moskau eine Woche Zeit, sich zurückzuziehen.
Bild: Russland hat erneut rund 280 Lastwagen mit Hilfsgütern gefüllt

BRÜSSEL/MOSKAU/KIEW afp/dpa | Russlands Präsident Wladimir Putin hat am Sonntag Verhandlungen über eine Eigenstaatlichkeit für die umkämpfte Südostukraine gefordert. Die Gespräche „über die politische Organisation der Gesellschaft und die Eigenstaatlichkeit für die Südostukraine“ müssten „sofort beginnen“, sagte er nach einem Bericht russischer Nachrichtenagenturen bei einem TV-Auftritt in Ostrussland. Ziel müsse es sein, die „gesetzlichen Interessen der dort lebenden Menschen zu schützen“.

Erst am Samstag hatte die EU über neue Sanktionen gegen Moskau beraten. Innerhalb einer Woche will die Europäische Union darüber entscheiden. Die EU-Kommission solle dazu Vorschläge machen, sagte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy am frühen Sonntagmorgen nach Abschluss des EU-Gipfels in Brüssel. „Jedem ist völlig klar, dass wir rasch handeln müssen.“ In der Ukraine sind nach Einschätzung von Präsident Petro Poroschenko inzwischen „Tausende ausländische Soldaten und Hunderte ausländische Panzer“ im Einsatz.

Poroschenko warnte vor irreparablen Schäden durch den Konflikt im Osten seines Landes. „Ich denke, dass wir sehr kurz vor einem Punkt ohne Wiederkehr stehen“, sagte er am Samstag in Brüssel nach einem Treffen mit den Staats- und Regierungschefs der EU-Länder. „Der Punkt ohne Wiederkehr ist völliger Krieg. Auf dem von den Separatisten kontrollierten (ukrainischen) Gebiet ist dies schon geschehen.“

Die Union sei bereit, im Licht der Entwicklung in der Ukraine weitere „bedeutsame Schritte“ auf den Weg zu bringen, sagte Van Rompuy, ohne ins Detail zu gehen. Die EU hat bereits Wirtschaftssanktionen verhängt. Ende Juli erschwerte sie unter anderem den Zugang russischer Banken zu den EU-Finanzmärkten und untersagte bestimmte Hochtechnologie-Exporte. Die Bereiche der bisherigen Sanktionen sollen unverändert bleiben. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte Finanz-Sanktionen ebenso wie den Energiesektor.

Keine Waffen aus Deutschland

Der Westen wirft Russland vor, reguläre Truppen in die Ukraine geschickt zu haben. Der britische Premier David Cameron sagte: „Es ist völlig unakzeptabel, dass sich russische Soldaten auf ukrainischem Boden befinden.“

Van Rompuy sagte, Beratungen über die Sanktionen würden zu Wochenbeginn starten. Es gebe keinen Automatismus. Über neue Sanktionen müssten entweder der EU-Ministerrat oder die ständigen EU-Botschafter der 28 Mitgliedstaaten entscheiden.

Die USA lobten die Bereitschaft der EU zu neuen Sanktionen. Die US-Regierung begrüße es, dass die EU gemeinsam „starke Unterstützung für die Souveränität und territoriale Souveränität“ der Ukraine zeige und zusätzliche Strafmaßnahmen gegen Moskau vorbereite, erklärte die Sprecherin des nationalen Sicherheitsrates, Caitlin Hayden, am Samstag in Washington. Die USA arbeiteten eng mit der EU und anderen Partnern zusammen, um Russland wegen dessen „illegaler Aktionen“ in der Ukraine zur Rechenschaft zu ziehen.

Poroschenkos Bitte um Waffenlieferungen wurde von deutscher Seite abgeschlagen. Dadurch würde der falsche Eindruck entstehen, der Konflikt könne militärisch gelöst werden, sagte Kanzlerin Merkel. „Deutschland wird jedenfalls keine Waffen liefern.“ Merkel räumte aber Meinungsunterschiede in diesem Punkt ein. „Ich kann hier nicht für alle sprechen“, sagte sie.

Ukrainische Soldaten freigelassen

In Ilowaisk im umkämpften Gebiet Donezk ließen Separatisten am Samstag Dutzende eingekesselte ukrainische Soldaten frei. Sie kehrten über spezielle Korridore zu ihren Lagern zurück, wie Innenminister Arsen Awakow mitteilte. Die Separatisten berichteten, es seien Hunderte Soldaten gewesen.

Der polnische Präsident Bronislaw Komorowski warnte vor einem neuen russischen „Imperium“ und vor einer Appeasement-Politik gegenüber Moskau. Es dürften nicht die Fehler der 1930er Jahre wiederholt werden, als man Hitler nachgegeben habe, sagte er im Deutschlandradio Kultur und im Deutschlandfunk.

Indes hat Russland erneut rund 280 Lastwagen mit Hilfsgütern für die notleidenden Menschen im Konfliktgebiet Ostukraine gefüllt. Der Konvoi warte in der Region Rostow auf die Einfahrt in das Krisengebiet Donbass, berichtete das russische Staatsfernsehen am Sonntag. Die Hilfsgüter, darunter Lebensmittel, Trinkwasser und Medikamente, seien mit Zügen angeliefert und dann auf die Lastwagen umgeladen worden, hieß es. Der Zeitpunkt des Grenzübertritts und die Marschroute würden geheim gehalten.

31 Aug 2014

TAGS

USA
Russland
EU
Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland
Russland
Wolfgang Niersbach
Joachim Gauck
Ukraine
Gefechte
Wladimir Putin
Fußball
Ukraine
Wladimir Putin

ARTIKEL ZUM THEMA

Handel mit Russland: Cool trotz Sanktionen

Trotz der Strafmaßnahmen gegen Russland: Die meisten deutschen Firmen erwarten kaum Veränderungen ihrer Geschäfte im Osten.

Rekrutierungsstelle für Kämpfer: Der Donbass zeigt Flagge in Moskau

In der russischen Hauptstadt gibt es eine Außenstelle der „Volksrepublik Donezk“. Kosaken rekrutieren Freiwillige und sammeln für Hilfstransporte.

Europäische Sportpolitik: Schärfere Sanktionen

Die EU sinniert derzeit über einen Boykott der Fußball-WM in Russland. Die Fifa ist strikt dagegen. Auch der DFB-Präsident äußert sich skeptisch.

Gaucks Worte an Russland: Riexinger ermahnt den Präsidenten

Joachim Gauck hatte Russland wegen seines Vorgehens in der Ukraine vor einer entsprechenden Reaktion des Westens gewarnt. Der Linken-Chef kritisiert das.

„Speerspitze“ gegen russische Aggression: Nato plant schnelle Eingreiftruppe

Der Ukraine-Konflikt und Russlands Vorgehen lassen die Nato über eine schnelle Eingreiftruppe nachdenken. Damit sollen Verbündete geschützt werden.

Ukrainische Armee: Flughafen von Lugansk aufgegeben

Kiew erklärt, dass seine Soldaten nach Kämpfen gegen ein russisches Panzerbataillon den Flugplatz verlassen haben. Auch auf dem Meer kommt es zu Gefechten.

Kommentar Putins Forderungen: Neurussland löst Ängste aus

Mit seiner Maximalforderung nach Eigenstaatlichkeit des Donbass hat Präsident Putin allen, die den Waffenstillstand wollen, einen Bärendienst erwiesen.

Fußball in der Ostukraine: Unter Beschuss

Trotz heftiger Kämpfe in der Ostukraine läuft der Ligabetrieb. Viele Vereine mussten umsiedeln – auch Meister Schachtjor Donezk.

Krise in der Ukraine: Gegen alle Regeln

Schon die Römer kannten ihn, die USA haben ihn weiterentwickelt und die Russen modernisiert: den unkonventionellen Krieg.

Krieg in der Ukraine: Putin mit menschlichem Antlitz

Russlands Präsident ruft die Separatisten dazu auf, für ukrainische Soldaten einen humanitären Korridor zu öffnen. Seine Landsleute werden kriegsmüde.