taz.de -- Fahnenflüchtiger Fallschirmjäger: Eigenmächtiger Frontbesuch

Laut „Süddeutsche Zeitung“ hat sich ein Bundeswehrsoldat in die Ukraine abgesetzt. Er soll dort für prorussische Freischärler kämpfen.
Bild: Kaserne im niedersächsischen Seedorf: Gegen den flüchtigen Fallschirmjäger sind disziplinarische Ermittlungen eingeleitet worden

BERLIN taz | Während sich seine Kameraden noch auf einen möglichen Bundeswehreinsatz in der Ostukraine vorbereiten, hat sich ein deutscher Fallschirmjäger offenbar bereits auf eigene Faust auf den Weg an die Front gemacht. Der 23-jährige Hauptgefreite soll sich den prorussischen Separatisten angeschlossen haben. Der junge Mann, der sich vor zwei Jahren als Zeitsoldat verpflichtet hatte, war nach einer zweiwöchigen Krankschreibung nicht wieder in der niedersächsischen Fallschirmjägerkaserne Seedorf aufgetaucht. Er sei „derzeit eigenmächtig abwesend“, bestätigte eine Sprecherin der Divison Schnelle Kräfte (DSK) der Bundeswehr der taz.

Gegen den Flüchtigen seien disziplinarische Ermittlungen eingeleitet worden. Der Fall sei der Staatsanwaltschaft Stade übergeben worden. Laut Süddeutscher Zeitung kämpft der deutsche Elitesoldat [1][nun in der Ostukraine] an der Seite der prorussischen Freischärler. Nach der Aussage eines Zeugen, der mit ihm über den Kurznachrichtendienst „WhatsApp“ in Verbindung gestanden habe, „befand sich der Soldat bereits in Gefechten in der Ukraine“, zitiert das Blatt aus einer internen Meldung. Bestätigen konnte oder wollte das die DSK-Sprecherin nicht.

Es sei unbekannt, wo sich der Soldat befinde, sagte sie: „Der könnte überall sein“. Weitere Angaben wollte sie unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungen nicht machen. Bei dem gesuchten Bundeswehrangehörigen soll es sich um einen Russlanddeutschen handeln, der 1991 in der gerade zerfallenen Sowjetunion geboren wurde. Mit ihm soll auch seine Gefechtsausrüstung verschwunden sein, zu der Helm und schusssichere Weste gehören. Schusswaffen habe er jedoch nicht mitnehmen können, heißt es.

Die Fallschirmjäger sind standardmäßig mit Sturmgewehr und Sturmpistole ausgestattet. Allerdings dürfen sie die Waffen nach Dienstende nicht mit nach Hause nehmen. Was dem Fall zusätzliche Brisanz verleiht: In der im Landkreis Rotenburg gelegenen Kaserne Seedorf bereiten sich derzeit mehrere Dutzend Fallschirmjäger auf einen eventuellen Einsatz in der Ukraine vor. Zusammen mit Frankreich hat die Bundesrepublik der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) das Angebot gemacht, den brüchigen Waffenstillstand mit Drohnen zu überwachen.

Im Falle eines Zustandekommens einer solchen OSZE-Mission könnten die Seedorfer Fallschirmjäger zum Schutz der dabei eingesetzten Soldaten dienen. Vielleicht treffen sie dann ihren derzeit verschwundenen Kameraden wieder. Falls er erwischt wird, droht ihm eine mehrjährige Haftstrafe. Der Tatbestand der „eigenmächtigen Abwesenheit“ von der Truppe, wegen der gegen den Mann ermittelt wird, wird mit bis zu drei Jahren bestraft. Falls sein Abstecher in die Ukraine als „Fahnenflucht“ gewertet wird, drohen ihm gemäß Wehrstrafgesetz bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug.

16 Oct 2014

LINKS

[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/bundeswehrsoldat-im-ukraine-krieg-fahnenflucht-an-die-front-1.2174762

AUTOREN

Pascal Beucker

TAGS

Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Soldat
Kaserne
Bundeswehr
Ukraine
Flüchtlinge
Russland
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Bundeswehr
Entwicklungszusammenarbeit
Joachim Gauck

ARTIKEL ZUM THEMA

Attraktivitätsoffensive der Bundeswehr: Work-Life-Balance für Soldaten

Ein neuer Gesetzesentwurf will die Bundeswehr attraktiver für den Nachwuchs machen. Die Maßnahmen? Mehr Geld und weniger Arbeit für Soldaten.

Krisengespräche zur Ukraine: Kein Durchbruch erkennbar

Die Krisengespräche mit Russlands Präsident Putin bringen nicht den erhofften Erfolg. Poroschenko unterschreibt das Gesetz für einen Sonderstatus des Donbass.

Flüchtlinge in der Ukraine: Der Kampf um die Wohnungen

Bis zu 400.000 Menschen aus dem Kriegsgebiet sind in andere Landesteile geflohen. Sie suchen eine Bleibe und stehen vor einer ungewissen Zukunft.

Europa-Asien-Gipfel und Russland: Sanktionen sind Erpressung

50 Politiker aus Europa und Asien wollen in Mailand über die großen Konflikte beraten. Im Mittelpunkt: Wladimir Putin und sein Kiewer Kollege Petro Poroschenko.

Krise in der Ukraine: Putin spricht mit Merkel

Im Unruhegebiet sterben wieder Menschen. Dabei herrscht Waffenruhe in der Ostukraine. Ein Gespräch zwischen Merkel und Putin soll eine Lösung vorantreiben.

Rüstungspolitik der Großen Koalition: Bund soll sich wehren können

Die Koalition will die Bundeswehr mit mehr Panzern aufrüsten. Auch die Rüstungsausfuhren unter Gabriel sind kaum gebremst.

Kommentar Lkws für die Ukraine: Minister Müller hilft

Angesichts der katastrophalen Versorgungslage ist die Überlegung unerheblich, ob sich ein Politiker mit Hilfstransporten in Szene setzen will.

Debatte Russlandkritik und Ukraine: Eine begründete Angst vor Moskau

In der deutschen Publizistik betreiben viele einseitig Geschichtspolitik. Eine Lösung in der Ukraine läuft auf einen transregionalen Föderalismus hinaus.