taz.de -- Minderheitenpolitik in Birma: Eingeschlossen im eigenen Land

Mohammed wünscht sich einen roten Ausweis, so wie ihn Buddhisten in Birma besitzen. Doch er ist muslimischer Rohingya und lebt im Lager.
Bild: Ein Vater trägt sein totes Kind mit einer Gruppe muslimischer Rohingya zum Friedhof in Darpaing.

SITTWE taz | Ihr Boot steht schon bereit. Mehrere Wochen haben die drei Männer daran gearbeitet, jetzt bringen sie mit Sorgfalt die letzten Bretter an. Wann sie genau aufs Meer raus wollen, wissen sie noch nicht. Sie sind Fischer von Beruf, wie viele Muslime in dieser Region. Doch zum Fischen wollen die drei dieses Mal nicht aufbrechen – sie suchen stattdessen einen Weg aus dem Flüchtlingscamp, in dem sie seit Juni 2012 leben müssen. Die etwa eine Million muslimischen Rohingya in Birmas nordwestlichem Bundesstaat Rakhine sind zu Gefangenen im eigenen Land geworden.

„Was machst du hier, Bengale? Das hier ist nicht dein Land, geh zurück, wo du herkommst!“, riefen buddhistische Polizisten. Es war Freitagnacht, erinnert sich der heute 30-jährige Mohammed Noorbe, als die ersten Häuser im Bumay Village brannten. An den darauffolgenden Tagen des Juni 2012 kam es mehrfach zu Gewaltausbrüchen zwischen Buddhisten und Muslimen – Noorbe verließ wie viele der etwa 10.000 Einwohner das Stadtviertel Narzi.

Lokale Medien hatten berichtet, dass muslimische Männer eine buddhistische Frau vergewaltigt und getötet hätten. Eine buddhistische Gruppe rächte sich anschließend und tötete zehn Muslime. Mehr als 280 Personen kamen bei den Unruhen von Juni bis Oktober 2012 ums Leben, mehr als 140.000 wurden obdachlos.

An Rückkehr ist nicht zu denken

Mohammed versteht auch zwei Jahre später nicht, wie es dazu kommen konnte: „Wir sind hier geboren, wir sind hier zur Schule gegangen. Es gab vorher nie Probleme.“ Auch buddhistische Freunde hatte der Muslim gehabt, doch der Kontakt ist seit jenen Tagen abgebrochen. In Downtown von Sittwe besaß er bis Mitte 2012 ein Geschäft. Sein Haus in Narzi, gegenüber der Universität, wurde komplett niedergebrannt. Noorbe ist von damals nichts geblieben. Im Flüchtlingslager hat er nun einen kleinen Teeladen, mit dem er seine Frau und die zwei Kinder irgendwie durchbringt. Ginge er zurück in die Stadt, sie würden ihn umbringen, da ist er sich sicher.

Die Volksgruppe der Rohingya lebt seit mindestens dem 15. Jahrhundert in dem Gebiet des heutigen Birma, ihre Zahl hat sich jedoch in der britischen Kolonialzeit zwischen 1824 und 1948 stark vergrößert – sie wurden als Feldarbeiter aus Bangladesch angeworben. Deswegen behaupten die birmesischen Behörden bis heute, die Rohingya seien illegale Einwanderer aus dem Nachbarland, und akzeptiert sie nicht als eine der insgesamt 135 offiziell anerkannten ethnischen Gruppierungen – was zur Folge hat, dass viele nicht die birmesische Staatsangehörigkeit besitzen.

„Wir stellen fest, dass es in unserem Land islamische Bengalen gibt“, erklärte Regierungssprecher Ye Htut in einem Interview mit der Washington Post. Die Regierung könnte jedoch den Namen Rohingya „nicht akzeptieren“. Von dem kürzlich vorgenommenen Zensus in Birma schloss man sie aus. Ein Drittel der rund 3,3 Millionen Einwohner in der Provinz Rakhine sollen laut Schätzungen Rohingya sein. In Bangladesch leben schätzungsweise 200.000 weitere staatenlose Rohingya.

"Wir können Armut nicht mit Armut bekämpfen"

Eine junge Mutter bricht in Tränen aus. Ihr Neugeborenes liegt in einem zwei Quadratmeter großen Zelt und schreit. Vor 14 Tagen hat sie ihren Ehemann verloren. Er habe Blut gespuckt, berichtet sie. Es regnet durch die Zeltdecke, der Boden und die Planen sind feucht. Wie sie jetzt ihre zwei Kinder ernähren soll, fragt sie die anderen Frauen. Sonst bettelt sie im Camp. Eine schwangere Frau erwidert: „Wir können Armut nicht mit Armut bekämpfen, wir sind selber arm.“ Die Rohingya haben nicht nur ihre Häuser verloren, sondern auch ihre Berufe. Ein festes Einkommen fehlt den meisten.

Es gibt zwei Krankenhäuser, in denen muslimische Ärzte aus Rangun arbeiten. Die beiden Ärzte und der Assistenzarzt in Darpaing sind überfordert. Die Patienten klagen, die Männer seien zu jung und hätten kaum Erfahrung. „Sie arbeiten ständig am Limit.“

Den Alltag im Krankenhaus müssen die Ärzte improvisieren. Es gibt zwar Unterstützung von der muslimischen Gemeinde in Rangun. Doch nicht für alles gibt es Medikamente, nicht alles gelangt durch die Checkpoints. Der Assistenzarzt erklärt, dass sie kaum noch Tabletten für Tuberkulose und Diabetes hätten. Strom beziehen sie von einem Solarpanel, für Operationen werfen sie einen kleinen Generator an. Nachts schlafen die drei Ärzte in den Krankenbetten.

Spione im Flüchtlingslager

Die Zuspitzung des Konfliktes geschieht in einer Zeit, in der sich Birma, das 1989 von den Generälen in Myanmar umbenannt worden war, nach Jahrzehnten einer Militärdiktatur wieder für die westliche Welt öffnet. Im März 2011 ist eine zivile Regierung mit dem Vorhaben angetreten, das Land zu demokratisieren. Anfang September besuchte der birmesische Präsident Thein Sein auch Deutschland, Bundeskanzlerin Angela Merkel legte ihm Toleranz gegenüber den Minderheiten ans Herz. „Wenn wir wirtschaftlichen Erfolg haben, dann ist es mit der Demokratisierung einfacher“, entgegnete ihr Thein Sein.

Jedenfalls steigen seit 2011 die Investitionen und Touristenzahlen, während zugleich die ethnischen und religiösen Konflikte neu aufflammen und damit Seins Reformkurs bedrohen. Es ist das Erbe eines Militärapparates, der das Land kaputt gewirtschaftet hat und seinen Ethnien noch immer nicht traut. Menschenrechtsverletzungen und ein Überwachungsapparat sind für die Rohingya in Rakhine Alltag.

Vergangene Woche, berichtet Mohammed Noorbe, sei ein Muslim von einem Polizisten in Zivil getötet worden. Drei Rohingya wurden daraufhin festgenommen und seitdem nicht mehr gesehen, sagt Mohammed. Polizisten schießen nachts in die Luft, überprüfen Personen, kommen in ihre Hütten, nehmen sie willkürlich fest. Doch das Schlimmste, erzählt ein junger Mann im Camp, der sich James nennt, seien die Spione. Rohingya, die als Spione angeworben und mit Pistolen bewaffnet werden, um ihre eigenen Leute umzubringen. „Es sind vor allem muslimische Führer, die für das Komitee im Lager arbeiten. Wenn du ein Spion bist, kannst du viel Geld verdienen.“

2015 sind Wahlen

Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hat bisher noch nicht ihre Stimme für die muslimische Minderheit erhoben, wohingegen die staatenlosen Rohingya während ihres Hausarrests zu Zeiten der Militärjunta für sie auf die Straße gegangen sind und für ihre Freilassung demonstriert haben. Im Jahr 2015 finden in Birma Parlamentswahlen statt. Doch die Hoffnungen in die Oppositionspolitikerin sind unter den Flüchtlingen gering. Sie respektieren die Lady, doch sind sie auch enttäuscht von ihr. „Sie wird nicht gewählt werden“, fasst sich Noorbe kurz. Und damit liegt er vielleicht richtig. Die birmesische Verfassung verbietet Suu Kyi, Präsidentin zu werden, weil sie zwei Söhne mit britischer Staatsbürgerschaft hat.

Der einzige Ausweg für Mohammed Noorbe ist die Flucht nach Malaysia. Wenn er die 2.000 US-Dollar dafür aufbringen kann. Die birmesische Marine überwacht die Küste und kooperiert mit Menschenhändlern. Eine Flucht über Land ist unmöglich, da die Camps durch das Meer auf der einen Seite und durch Checkpoints auf der anderen Seite abgeriegelt sind. „Sie kontrollieren uns wie Tiere, wie in einem Gefängnis. Und ob das Boot in Malaysia je ankommt, weiß man auch nicht. Von zehn, die es versuchen, schaffen es drei bis vier.“

Wer die Reise mit dem Boot wählt, kommt oftmals in Thailand an – im vermeintlichen Glauben, in Malaysia gelandet zu sein; und wird dann von den thailändischen Behörden aufs Meer zurückgeschickt oder an Menschenhändler weiterverkauft, wie ein Bericht von Human Rights Watch zeigt.

Leben in der Illegalität

Und was wartet auf die Flüchtlinge in Malaysia? Ein vom Staat geduldetes Leben in Illegalität, Schuften auf Baustellen ohne Krankenversicherung, ohne sicheres Einkommen. Im muslimischen Malaysia, das die UN-Flüchtlingskonvention nicht unterschrieben hat, lebten laut UNHCR im Dezember 2013 mehr als 95.000 Flüchtlinge aus Birma. Die Zahl steigt weiter, bis Dezember 2015 werden 13.000 Neuankömmlinge erwartet.

Noorbes Hoffnung ist, dass es irgendwann wieder so wie früher wird. Dass die Rohingya zurückkönnen und ihre Häuser wieder aufbauen. Doch dann müssten sie auch zurück in die birmesische Gesellschaft. „Für uns gibt es keine Gerechtigkeit in dieser Welt“, sagt Mohammed. Er würde sich wünschen, einen roten Ausweis zu besitzen, so wie Buddhisten. Trotzdem glaubt er, dass sich die Situation in den nächsten Jahren eher noch verschlechtern wird. „Wir sind hoffnungslos, weil wir unsere Zukunft nicht selber verbessern können. Das Land verlassen will ich nicht. Aber wenn sie uns irgendwann nicht mehr dulden, werde ich mit meiner Familie gehen müssen. Auch mit dem Boot. Allah wird entscheiden.“

13 Nov 2014

AUTOREN

Franke

TAGS

Schwerpunkt Myanmar
Minderheitenpolitik
Rohingya
Schwerpunkt Myanmar
Rohingya
Schlepper
Repression
Studenten
Amnesty International
Minderheiten
Schwerpunkt Myanmar
Staatenlosigkeit
Staatenlosigkeit
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Myanmar
Schwerpunkt Myanmar
Schwerpunkt Myanmar
Schwerpunkt Myanmar
Schwerpunkt Myanmar
Volkszählung
Joachim Gauck

ARTIKEL ZUM THEMA

Birma im Wahlkampf: Die Ikone im Elfenbeinturm

In ihrer Heimat ist niemand in der Politik so beliebt wie die jetzt 70-jährige Aung San Suu Kyi. Doch Präsidentin darf sie nicht werden.

Flüchtlingskrise in Südostasien: Nicht bereit für den Notfall

Immer mehr Menschen aus Birma suchen Hilfe bei Schleppern. Hilfsorganisationen schlagen Alarm. Die Länder der Region reagieren mit Härte.

Flüchtlingskrise in Südostasien: Tausende driften hilflos auf dem Meer

In Südostasien treiben bis zu 8.000 Flüchtlinge in teils kaum seetüchtigen Booten auf dem Meer. Niemand will sie aufnehmen. Eine Rettungsaktion gibt es nicht.

Opposition in Birma: Déjà-vu in Sachen Schläger

Die Polizeieinsätze zeigen, wie instabil die Reformregierung in Birma immer noch ist. Viele Generäle der Militärjunta sitzen heute im Parlament.

Bildungsprotest in Birma: Studenten von Polizei umzingelt

Sie wollen von Mandalay nach Rangun, um dort gegen ein neues Bildungsgesetz zu protestieren. Doch die Polizei hat birmesische Studenten nun in Letpadan festgesetzt.

Vertreibungen in Myanmar: Bergwerksfirmen profitieren

Im bitterarmen Myanmar beuten einheimische und ausländische Firmen die Rohstoffe aus, nach Angaben von Menschenrechtlern oft mit Gewalt.

Diskriminierte Minderheiten in Birma: Reflex aus alten Zeiten

Eine UN-Sondergesandte hatte die Diskriminierung der Rohingya in Birma beklagt. Ein nationalistischer Mönch beschimpfte sie daraufhin als „Hure“.

Abholzungen in Myanmar: Militärschlag gegen illegale Rodungen

In den Rebellengebieten gehen Soldaten gegen illegale Rodungen vor. Das Militär berichtet von mehr als 140 festgenommenen Menschen.

Staatenlos in den USA, taz-Serie Teil III: Leben im undefinierten Nichts

Im Einwanderungsgesetz der USA gibt es keine Staatenlosigkeit. Die rund 4.000 Staatenlosen im Land sitzen fest – wie Mikhail Sebastian.

Staatenlos in Polen, taz-Serie Teil II: Maria macht den Anfang

Ihre rumänische Mutter haut ab, Maria wächst in einer polnischen Pflegefamilie auf. Erst mit 17 wird ihr eine Staatsbürgerschaft zugestanden.

Staatenlos in Deutschland, taz-Serie Teil I: Saids Kampf gegen das Verschwinden

In Syrien war Said Alnahawi als palästinensischer Flüchtling registriert. Kein Problem – bis Krieg und Exil dazwischen kamen.

Bestattung als sozialer Protest in Birma: Positives Karma

In Rangun sorgt eine private Organisation für Gratis-Bestattungen. Einst provozierte sie damit die Militärjunta, heute ist sie eine der größten NGOs.

Buddhisten und Muslime in Birma: Stadt der Verschwörungstheorien

In Mandalay trügt die Ruhe. Hier liefern sich Buddhisten und Muslime Straßenschlachten. Manchmal lösen schon Gerüchte die Gewalt aus.

Meinungsfreiheit in Birma: Jähes Ende des Medienfrühlings

Fünf Journalisten werden zu je zehn Jahren Haft verurteilt. Sie hatten über eine mutmaßliche Chemiewaffenfabrik des Militärs berichtet.

Birmas Militär kassiert beim Wandel: Hilfsorganisation finanziert Exgeneral

Die Empörung ist groß: Internationale Organisationen zahlen an die Familien früherer Juntageneräle hohe Mieten für Büros und Villen.

Birmas Protestikone in Berlin: Diktatur mit Blüten im Haar

Berlin empfängt Aung San Suu Kyi wie eine Staatschefin. In Birma will man aber nicht, dass sie Präsidentin wird, sondern weiter für die Demokratisierung kämpft.

Zensus in Birma: Das Volk zählen, die Ethnien spalten

Die erste Volkszählung seit 31 Jahren verschärft in Birma die Spannungen zwischen den Ethnien. Die muslimische Minderheit muss sich selbst verleumden.

Joachim Gauck in Birma: Zu Gast in der Retortenstadt

Beim Besuch des Bundespräsidenten werden die Probleme der Vergangenheit ausgespart. Der Blick wird in die Zukunft gerichtet