taz.de -- FDP zur Bremer Bürgerschaftswahl: Die Verpackung entscheidet
Die FDP wird wohl auf Bremens politische Bühne zurückkehren. Dank einer externen Spitzenkandidatin wirken dieselbe, alten Inhalte plötzlich anziehend.
BREMEN taz | Die vermutlich größte Überraschung bei Bremens Bürgerschaftswahl ist die Rückkehr der FDP aufs politische Parkett, ins Parlament – das steht voraussichtlich eine Woche nach der Auszählung fest, die am 10. Mai beginnt. Den in der letzten Aprilwoche erhobenen Umfragen zufolge werden die Liberalen in Bremen zwischen fünf und sechs Prozent bekommen. Das allein ist bereits ein Triumph des Marketings, des neuen Magenta-Tons und einer Show-erfahrenen [1][Spitzenkandidatin], Lencke Steiner.
Zur Erinnerung: In Bremen hatte das lange und bundesweite Siechtum der Freidemokraten 2011 begonnen. Dort waren sie damals mit 2,5 Prozent krachend an der Fünfprozenthürde gescheitert, nicht einmal über Bremerhaven, sonst stets eine FDP-Bastion, waren sie auch nur in deren Nähe geraten. Zuvor hatten sich die FDP-Protagonisten – es waren ausschließlich Männer – in einem zermürbenden öffentlichen Zickenkrieg die Augen ausgekratzt, also im übertragenen Sinne. Dann musste die Fraktion liquidiert werden – im Wortsinn, wie eine zahlungsunfähige Firma. Danach war vier Jahre lang Ruhe.
Und jetzt? Inhaltlich hat sich bei der FDP nichts geändert. Sie hält sich immer noch ausweislich ihres Programms für die Stimme der Vernunft, glaubt zugleich bei einem Vier-Milliarden-Haushalt die 20 Milliarden Euro Schulden Bremens durch eine Steigerung der Effizienz und forcierten Personalabbau beseitigen zu können. Auch personell halten sich die Veränderungen in der Partei im engen Rahmen: Kurz nach dem Debakel hat man als Landesvorsitzenden den Bremerhavener Lebensmittelchemiker Hauke Hilz installiert, der zur Verwendbarkeit von Insekten in der Mastviehhaltung forscht – und wie schon sein Vorgänger über eine konfirmandenhafte Ausstrahlung verfügt. Aber das war’s auch schon. Logisch: Wer nur 300 Mitglieder hat, kann die nicht einfach feuern.
Die Antwort auf dieses Problem heißt: Personal Recruiting durch Active Sourcing – also Direktansprache. So hat man die 30-jährige Lencke Steiner angehauen, Vorsitzende im Jung und Präsidiumsmitglied im Familienunternehmerverband. Nachdem der [2][Spiegel aufgedeckt] hat, dass sie nur bei ein paar Stehrumchen im Kanzleramt und Schloss Bellevuezu Gast war, nennt die Partei sie nicht mehr Beraterin von Angela Merkel und Joachim Gauck. Dafür propagiert sie die Marketing-Idee, sie mit Hamburgs FDP-Queen Katja Suding zu vergleichen: Wer genauer hinschaut, merkt, da ist nichts dran: Erstens ist Suding dunkelhaarig. Zweitens war sie ja schon in ihrer Partei aktiv gewesen und hat deren Haushaltspolitik mitgestaltet, bevor sie sich als ihre Gallionsfigur entworfen hat. Und drittens war klar: Sie wird diese Politik, einmal gewählt, auch im Parlament fortsetzen.
Steiner hingegen, die von ihrem Vater Schritt für Schritt die Geschäfte der W-Pack-Kunststoffe GmbH [3][übertragen bekommt], die Flachbeutel und folien, aber auch Schrumpfschläuche produziert, war bislang vor allem als TV-Größe aufgefallen. In einer [4][VOX-Wirtschaftshow] gehörte sie der Jury an, die sich Unternehmensideen vorstellen ließ und die BewerberInnen dann niedermachte oder ihnen, für eine bescheidene Anschubfinanzierung, exorbitante Gewinnbeteiligungen abnötigte. Leistung ist wichtig, lohnen aber müssen sich vor allem Geldhaben und Vermögen-Erben. Dieses von Thomas Piketty freigelegte Grundprinzip des Kapitals im 21. Jahrhundert verkörpert Steiner idealtypisch. Viele finden sie hübsch und erfrischend.
In ihren politischen Statements betätigt sie sich folgerichtig als Propagandistin einer behaupteten Meritokratie, sprich einer Gesellschaftsordnung, deren Herrschaftssystem die Verdienste seiner Amtsträger abbildet. Frauenquoten – ganz falsch, Frauen wollen ja „durch Leistung überzeugen“; FDP-Mitgliedschaft zieht sie in Erwägung, falls die Partei 8,5 Prozent erhält. Was die Bürgerschaft tun muss, damit Steiner ihr rechnerisch nun zu erwartendes Mandat wahrnimmt, um für ein politisches Programm einzutreten, an dem sie keinen Anteil hat, wissen wir nicht. Doch hat die Verpackungsfrau der FDP als „mein Ziel“ bezeichnet, dort die Rolle der Fraktionsvorsitzenden zu spielen.
5 May 2015
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
In Bremen zeigt sich die AfD eher rechtskonservativ als rechtsliberal. Mit der Wählervereinigung „Bürger in Wut“ streitet sie um den Platz rechts außen.
Linken-Mitglied ist Kristina Vogt 2008 geworden – aus Zorn über die Performance ihrer Abgeordneten. Seit 2011 hat sie die Fraktion als echte politische Kraft etabliert
Deutlich mehr Einzel-KandidatInnen als 2011 kämpfen um einen Platz in der Bürgerschaft – teils mit tausenden Euros. „Lobby Control“ fordert mehr Transparenz.
Bürgermeister Jens Böhrnsen wünscht sich die Schulden weg, hört geduldig zu und knallt die Hacken nur selten zusammen. Er möchte weiterregieren.
Wahlkämpferin Silvia Schön weiß: Egoismus ist eine notwendige Form zur Durchsetzung der Individuen. Und immerhin kämpft sie für einen gut dotierten Job.
Die CDU möchte in Bremen endlich wieder mitregieren. Aber wozu? Das kann sie nicht erklären. Selbst ihre Spitzenkandidatin ist nur dritte Wahl.
Nur eine Ökokatastrophe kann Bündnis 90/Die Grünen vor dem Absturz auf unter 20 Prozent retten. Dennoch ist Rot-Grün wahrscheinlich.
Zum zweiten Mal wird die Bremer Bürgerschaft auch von 16-Jährigen gewählt. Um deren Beteiligung zu stärken wird viel versucht.
Zur Unterstützung ihrer Parteifreunde karrt die CDU ihre sämtlichen Innenminister nach Bremen, ins gut gesicherte Atlantic Grand Hotel.
SPD-Chef Dieter Reinken über Machtdemonstration, die Schuldenbremse, eine Rekommunalisierung der Abfallwirtschaft und fehlende Wohnungsnot.
"Vieles geht besser": Der Landesvorsitzende der CDU über Wohnungen in Brokhuchting, den Soli, die eigene Verantwortung und das Schattenboxen.
Als erstes Bundesland erleichtert Bremen Menschen mit Leseschwierigkeiten die Teilnahme an der Wahl. Erstmals sind Wahlunterlagen barrierefrei.
Die beiden Landesvorsitzenden der Linken über einen möglichen Politikwechsel, das finanzpolitische WG-Modell und Auswege aus dem Schlangennest.
Anderthalb Jahre lang haben die Liberalen nur Niederlagen eingesteckt. Jetzt sind sie zurück, wenn auch erst einmal nur in Hamburg.