taz.de -- Nach dem Sturz von Assad in Syrien: Türkei verkündet Erfolg gegen syrische Kurden

Die von der Türkei unterstützte „Syrische Nationale Armee“ marschiert in Nordsyrien voran. Sie haben die kurdisch kontrollierte Stadt Manbidsch eingenommen.
Bild: Hakan Fidan, Außenminister der Türkei, spricht am 8. Dezember zu Vertretern der Presse

Istanbul taz | Die „Syrische Nationale Armee“ (SNA) habe die Gebiete westlich des Euphrats „von PKK-Terroristen und kurdischen YPG-Milizen gesäubert“, verkündete der türkische TV-Kanal NTV am Montagmittag triumphierend. Ein Korrespondent des Senders folgte den von der Türkei unterstützten SNA-Milizen und filmte bereits Straßenszenen in [1][Manbidsch], dem Hauptort der Provinz. NTV zeigt ruhige Straßen, Menschen, die vor einer Bäckerei anstehen, und Einwohner von Manbidsch, die den türkischen Reporter mit einem Glas Tee in der Hand begrüßen.

Mit der Eroberung von Tal Rifaat und jetzt Manbidsch hat die türkische Regierung ein seit Jahren verfolgtes Ziel erreicht: Die von der syrischen [2][Kurdenmiliz YPG] nach der Eroberung der am weitesten westlich gelegenen kurdischen Enklave Afrin im Frühjahr 2018 noch gehaltenen Stellungen westlich des Euphrats sind nun erobert worden. Nach mehreren militärischen Vorstößen nach Nordsyrien seit 2016 hatte die türkische Armee bereits eine Reihe grenznahe Streifen in Syrien besetzt, jetzt ist diese grenznahe Zone westlich des Euphrats erstmals vollständig unter türkischer Kontrolle.

Die türkische Armee will mit ihren Angriffen auf die syrischen Kurden – deren Miliz YPG aus türkischer Sicht der syrische Ableger der PKK ist – verhindern, dass ein kurdischer „PKK-Staat“ direkt an ihrer Grenze entsteht. Im Nordosten Syriens haben kurdische Milizen im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) entlang des Euphrats bis zur irakischen Grenze rund ein Drittel des syrischen Staatsgebietes erobert. In diesem versuchen sie, ein autonomes Gebiet mit eigener Verwaltung und eigenen Streitkräften aufzubauen. Sie werden dabei von US-Soldaten unterstützt, mit denen sie gemeinsam gegen den IS gekämpft hatten.

Ziel der Türkei ist es – nachdem die YPG nun westlich des Euphrats vertrieben ist –, östlich des Euphrats eine mindestens 30 Kilometer tiefe Pufferzone einzurichten, um die autonome kurdische Region von ihrer Grenze fernzuhalten. Erdoğan hofft auch aufgrund seiner guten Beziehungen zur HTS, der jetzt mächtigsten Truppe im Post-Assad-Syrien, seine Pufferzone leichter durchsetzen zu können, als das bislang der Fall war. Obwohl die türkische Armee seit mindestens zwei Jahren gezielt mit Kampfdrohnen gegen die YPG vorgeht, nach Angaben von Vertretern der Autonomiebehörden aber auch immer wieder zivile Einrichtungen und wichtige Infrastruktur bombardiert hat, ist es ihr bislang nicht gelungen, die YPG entlang der Grenze völlig zu verdrängen.

Für ein neues Syrien hat die Türkei eigene Vorstellungen

Der türkische Außenminister Hakan Fidan hat am Montag in einer programmatischen Rede vor türkischen Botschaftern aus aller Welt noch einmal betont, man unterstütze den Übergang in Syrien zu einer neuen zivilen Regierung mit allen Kräften, aber „Terroristen der PKK und der YPG“ dürften im neuen Syrien keine Rolle spielen. Seit Jahren beklagt die türkische Regierung in Washington, dass die US-Armee in Syrien mit der YPG zusammenarbeiten würde, obwohl die YPG doch ein Ableger der auch von den USA als „Terrororganisation“ gelisteten PKK sei.

In Ankara hofft man stark darauf, nun bei dem designierten neuen Präsidenten Donald Trump mehr Gehör zu bekommen als bislang bei US-Präsident Joe Biden. [3][Trump wollte schon gegen Ende seiner ersten Amtszeit alle US-Truppen aus Syrien abziehen], war aber damals vom Pentagon daran gehindert worden.

Abseits der Kurdengebiete, am westlichen Ende der türkisch-syrischen Grenze zeigt sich dagegen jetzt schon, dass sich Erdoğan bei seinem zweiten Ziel gegenüber Syrien, der Rückführung der Millionen [4][syrischer Flüchtlinge] in ihre Heimat, Hoffnungen auf eine baldige Lösung machen kann. Bereits am Montag, nur einen Tag nach dem Sturz Assads, bilden sich an verschiedenen Grenzübergängen bereits lange Schlangen von Syrern, die zurück in ihre Städte und Dörfer in Syrien wollen.

9 Dec 2024

LINKS

[1] /Dokufilm-ueber-kurdische-Polizistinnen/!5827553
[2] /Kaempfen-fuer-Kurdistan/!5847101
[3] /Vorwuerfe-gegen-Donald-Trump/!5632173
[4] /Syrische-Fluechtlinge/!t5013529

AUTOREN

Jürgen Gottschlich

TAGS

Kurdistan
Kurden
Schwerpunkt Syrien
Türkei
GNS
Schwerpunkt Syrien
Israelische Armee
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien

ARTIKEL ZUM THEMA

Umsturz in Syrien: Kurd*innen aus Nordsyrien vertrieben

In Nordsyrien bedrohen pro-türkische Milizen die kurdische Selbstverwaltung. Durch Kämpfe und türkische Bombardierungen werden Zehntausende vertrieben.

Sturz des Syrien-Regimes: Dank an Netanjahu?

Das Ende des syrischen Regimes verschiebt die Konflikte im Nahen Osten. Der Iran und Russland sind die Verlierer. Israel könnte zum Gewinner werden.

NGO über den Machtwechsel in Syrien: „Wir wissen nicht, was nach dem Diktator kommt“

Viele Syrer*innen wollen abwarten, wie es nun weitergeht, sagt Svenja Borgschulte von Adopt a Revolution. Abschiebungen seien daher kein Thema.

Ende des Assad-Regimes: Momente, die niemand den Syrern nehmen kann

Aufgebrochene Zellen, umgestürzte Statuen, wiedervereinte Familien: Syrien ist ein anderes Land. Ein Essay über die Bedeutung dieses historischen Augenblicks.