taz.de -- Ahmed al-Scharaa im Weißen Haus: Er hat wenig Spielraum
Die Diskussionen um den syrischen Präsidenten drehen sich meist darum, was er mit dem Land vorhat. Wichtiger ist, was er überhaupt tun kann.
Es ist ein Reset der Beziehungen [1][Syriens] mit dem Rest der Welt. Vorbei sind, nach dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024, die Zeiten mit Iran und Russland als den beiden wichtigsten Bündnispartnern des Landes. Der neue Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa wendet sich trotz seiner islamistischen Vergangenheit [2][den USA zu]. Und Donald Trump nimmt ihn als „den toughen Typen“ aus Damaskus mit offenen Armen auf.
Die Diskussionen um al-Scharaa drehen sich häufig um die Frage, was der neue Machthaber vorhat. In der Realität kommt es aber gar nicht so sehr darauf an, was er will, sondern was er tatsächlich machen kann. Al-Scharaa hat sehr wenig Spielraum.
Er braucht Trump, um die Sanktionen aufzuheben, die sein Land lähmen und deren Begründungen noch aus den Zeiten Assads stammen. Die USA haben damit immer noch ein Instrument zur Verfügung, mit dem sie hoffen, [3][die Zukunft Syriens beeinflussen zu können.] Für den Eintritt in die Anti-IS-Koalition hat al-Scharaa nun erneut eine Suspendierung der Sanktionen für zunächst ein weiteres halbes Jahr erreicht. Anders kann er gar nicht, denn die Syrer messen ihn vor allem daran, wie schnell er ihre Lebensverhältnisse verbessern kann.
Auch im eigenen Land hat al-Scharaa wenig Spielraum. Egal, ob er tatsächlich ein All-inclusive-Syrien schaffen kann, auf dem Weg zu einer Demokratie, oder ob es ihm nur um seinen Machterhalt geht und er vielleicht doch eine islamistische Agenda fährt. Der kurdische Nordwesten und der von Drusen dominierte Süden des Landes sind nicht unter seiner Kontrolle. Die offenen Rechnungen mit den Schergen des alten Regimes sind zahllos.
Man kann ihm nur Erfolg wünschen
Nachrichten von Massakern, separatistische Bewegungen und israelische Angriffe – al-Scharaa hetzt hinterher und versucht, den Deckel daraufzusetzen. Dabei hat er sicherheitstechnisch kaum Instrumente zur Verfügung, außer seinen alten dschihadistischen HTS-Kämpfern aus den Zeiten Idilbs. Und die erweisen sich meist mehr als Problem als Lösung der verschiedenen Sicherheitsherausforderungen des Landes.
So hangelt sich der Übergangspräsident von einer Übergangskrise zu nächsten und versucht, sein Land zu stabilisieren. Man kann ihm nur Erfolg wünschen: Denn nach 50 Jahren Assad und 16 Jahren Bürgerkrieg haben die Syrerinnen und Syrer endlich ein besseres und friedliches Leben verdient.
11 Nov 2025
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Im syrischen Suweida nehmen die inner-drusischen Konflikte zu. Nun wurden wohl religiöse Gelehrte, die sich dem Anti-Regierungs-Lager entgegenstellten, hingerichtet.
Es ist der erste Prozess gegen Gewalttäter der Massaker an Alawiten im März. Auf der Anklagebank sitzen auch Soldaten der Übergangsregierung.
Der französische Zement-Multi Lafarge soll in Syrien Terrorgruppen finanziert haben. Bei der Klage gegen ihn geht es auch um Konzernverantwortung.
Die EU lädt im syrische Damaskus zu einer Konferenz mit Zivilgesellschaft und Übergangsregierung: Es geht um Vertrauen – und einen Mangel davon.
Die deutsche Regierung muss auf Syrien zugehen, statt nur über StraftäterInnen zu diskutieren. Sonst verpassen wir eine wichtige Chance.
Die Annäherung zwischen US-Präsident Trump und Ahmet al-Sharaa schwächt die Position der Kurden in Syrien. Ohnehin trauen sie Ahmet al-Sharaa nicht.
Ahmed al-Scharaa trifft sich mit Donald Trump in Washington. Vor 15 Jahren war er noch Häftling im berüchtigten US-Gefängnis Abu Ghraib im Irak.
Westliche Regierungen sollten sich für Syrien öffnen, doch auch auf Minderheitenschutz und Demokratie pochen. Damit kann man ihnen aber nicht trauen.