taz.de -- Ausreisezentrum in Braunschweig: Neue niedersächsische Härte
Die rot-grüne Landesregierung will von Abschiebung bedrohte Geflüchtete wieder in Lagern unterbringen – eine Praxis, die sie 2014 abgeschafft hatte.
Deutschland will kälter werden und Niedersachsen ist vorn mit dabei. Die rot-grüne Landesregierung will mehr von Abschiebung bedrohte Geflüchtete wieder in Lagern unterbringen – eine Praxis, die sie 2014 selbst abgeschafft hatte.
Im Juli hat Innenministerin Daniela Behrens (SPD) einen Erlass herausgegeben, nach dem in Braunschweig wieder ein sogenanntes „Ausreisezentrum“ eröffnet wird. Darin sollen Menschen untergebracht werden, die abgeschoben werden sollen, aber aus Gründen nicht in Abschiebehaft gesteckt werden können.
Wir sprechen also von Menschen, bei denen sogar deutsche Gerichte finden, dass Knast für sie zu hart ist.
In Behördendeutsch betrifft das „vollziehbar Ausreisepflichtige, die den Vollzug ihrer Abschiebung schuldhaft zum Scheitern gebracht haben und bei denen die Beantragung von Abschiebungshaft bzw. Ausreisegewahrsam nicht erfolgreich war“.
Wer zweimal nicht zu Hause war, kommt ins Lager
Um jemanden in Abschiebehaft zu stecken, muss ein Gericht befinden, dass die Person untertauchen könnte. Um ins „Ausreisezentrum“ zu kommen, reicht es, wenn eine Person zweimal nicht zu Hause war, als die Polizei klingelte – bei einem Abschiebetermin, der Betroffenen per Gesetz nicht mal mitgeteilt werden darf.
Das können alle möglichen Menschen sein. Auch Kinder, Alte, Schwangere, Menschen in psychischen oder physischen Ausnahmesituationen.
Zum Glück ist ein „Ausreisezentrum“ kein Abschiebeknast. In Behördendeutsch: „Die Unterbringung hat keinen freiheitsbeschränkenden Charakter.“ Menschen können bloß verpflichtet werden, „geplante Abwesenheit innerhalb eines festgelegten Zeitraums und unter Angabe des Ortes rechtzeitig anzuzeigen“. Und eine noch nicht definierte „elektronische Erfassung der Anwesenheit“ ist geplant.
Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert den Plan scharf. „Hier wird eine Politik der Drangsalierung und Zermürbung eingeführt“, sagt er. Er wird nicht müde. Vor dreizehn Jahren hat er etwas ganz Ähnliches schon mal geschrieben, in einer Broschüre über Lager in Niedersachsen.
Denn das alles gab es schon mal. Das „Ausreisezentrum“ hatte eine CDU-geführte Landesregierung in den 1990er-Jahren eingeführt. Bundesländer können es einrichten, müssen es aber nicht. Niedersachsen wollte.
2014 schaffte die damalige rot-grüne Landesregierung es wieder ab. Zuvor hatte es jahrelang Proteste gegeben. Gegen das „Ausreisezentrum“, aber auch gegen die Unterbringung in Lagern allgemein. 2006 boykottierten Bewohner*innen von Lagern in Oldenburg-Blankenburg und Bramsche-Hesepe aus Protest das Kantinenessen.
Seit 2013 hat Niedersachsen Geflüchtete nicht mehr in Lagern untergebracht. Nur in Erstaufnahmeeinrichtungen, aber meist nicht länger als die vorgeschriebene Dauer von 6 Wochen bis zu 3 Monaten.
Das ist Geschichte. Was vor elf Jahren zu menschenfeindlich war, geht heute wieder klar. Wie andernorts müssen Menschen im Durchschnitt wieder 18 Monate in Massenunterkünften zur Erstaufnahme leben.
Niedersachsen liegt im Trend. Bundesweit wird vorauseilend das gemeinsame europäische Asylsystem (Geas) umgesetzt. Die Bundesregierung schießt sogar über die Vorgaben hinaus, führt die Bezahlkarte ein, kürzt Leistungen, vereinfacht Abschiebungen und eröffnet einst abgeschaffte Lager neu – wie jetzt das in Braunschweig.
Innenministerin Behrens hätte auch gern noch so ein Dublin-Zentrum wie in Eisenhüttenstadt und Hamburg, sagte sie im September. Der Bund lobte sie, will aber kein Geld geben. Jetzt hakt's an der Zustimmung der niedersächsischen Grünen.
Mit dem Braunschweiger „Ausreisezentrum“ hatten die kein Problem.
Kai Weber vom Flüchtlingsrat sieht darin die veränderte gesellschaftliche Stimmung. „Jahrelang hab ich gesagt, es mag Verschlechterungen geben, aber so schlimm wie in den 90ern wird es nicht mehr“, sagt er. Mittlerweile ist er sich da nicht mehr sicher.
22 Oct 2025
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