taz.de -- Willkommenskultur und wahre Integration: Ein Ja von beiden Seiten

Selma Kral floh 2015 aus Syrien und landete – gezwungenermaßen – in Berlin. Willkommenskultur heißt für sie, sich gegenseitig als Mensch anzuerkennen.
Bild: Einen Platz finden – Ankommen in Deutschland im Jahr 2015

Die Flucht war nie ein Teil meiner Lebenspläne. Selbst mit siebzehn Jahren, als ich die deutsche Fußballmannschaft verehrte, hätte ich nie gedacht, dass ich eines Tages hier leben und auf Deutsch träumen würde – von links nach rechts, wie die Sätze in der deutschen Sprache angeordnet sind.

Ich floh vor dem [1][faschistischen Assad-Regime]. Meine erste und gefährlichste Anklage lautete: Journalistin. Nicht irgendeine, sondern eine, die für ausländische Zeitungen schrieb und die als regimekritisch galt. Das war ein Verbrechen an sich. Die fünfte absurdeste und unlogischste Anklage lautete: Ich solle Fahrzeuge der Sicherheitskräfte mit Eiern beworfen haben.

Mit Eiern! In einem Land, in dem ein Ei kostbarer als Rüstungsgeld war. Ich hatte kein Einkommen, kein Geld und der Staat subventionierte lieber Gefängnisse und Raketen als Lebensmittel. Eine dieser Raketen traf unser Haus, das völlig zerstört wurde, nur eine Mauer blieb stehen. Aber eine Mauer ist mehr als gar nichts.

[2][2015 landete ich in Berlin – gezwungenermaßen.] Mein erster Ort war ein Krankenhaus. Ich war nie zuvor in einem, aber: Es nahm mich auf. Ich war dankbar – wenigstens ein Bett.

Keine Teddybären

Dann kam die Aufnahmeeinrichtung. Niemand begrüßte mich auf der Straße. Keiner winkte mir zu, keine Teddybären. Viel Angst, aber eine liebevolle Gastfamilie.

Ich fragte mich: Haben sie hier Käse? Ich liebe Käse. Für mich war Käse ein Traum: rar, teuer und lecker.

Eines Tages verirrte ich mich auf dem Weg ins Heim und musste einen Mann nach dem Weg fragen. In diesem Moment wurde mir klar: Ich lebe in einem Land, das Deutsch spricht. Und ich muss Deutsch lernen, wenn ich hierbleiben will. Nicht sie müssen meine Sprache lernen.

Später arbeitet ich im Seniorenheim. Die erste Frage lautete: „Woher kommst du?“

Ich: „Aus Syrien.“

Leben auf „Planet Deutschland“

Die Antwort sorgte für Verwunderung. Warum sei meine Haut hell? Wo seien meine vier oder fünf Kinder? Warum trage ich kein Kopftuch?

In einem anderen Job zog jemand Gabel und Messer hervor und fragte: „Kennt ihr das?“

Ja. Natürlich.

Einem Bewohner brachte ich jeden Morgens Wasser statt des Bieres, das er wollte und sagte dabei stets: „Kein Bier vor vier!“ Ich dachte, dass er mich vielleicht nie mochte. Als ich meinen Job kündigte sagte ich: „Ich gehe jetzt.“ Er sagte mit wirklich trauriger Stimme: „Schade.“ Er war bedrückt. Irgendetwas hatte sich verändert. Vielleicht sah er mich endlich als Mensch an.

Allein auf dem „Planeten Deutschland“ zu leben ist unmöglich. Man braucht Menschen, die einen mögen oder zumindest sich vor einem nicht fürchten. Die einen sehen und denken: Man ist ein Mensch und kein Alien.

Die Integration

Einer sagte zu mir: „Warum arbeitest du nicht in einem Shawarma-Stand?“ So sehen manche Leute Araber eben: Falafel, Shawarma, Restaurants. Aber ich wollte mehr. Ich wollte mein Studium fortsetzen, unterrichten, schreiben. [3][Und so geschah Integration.] Es ist wie ein „Yes“, ein Ja zueinander, von beiden Seiten.

Mein Lebensgefährte seit 2017, ein echter Bio-Deutscher, lernte drei arabische Wörter: „Jouwʿān“ – hungrig, „Habibi“ – Liebling, „Fairuz“ – die Sängerin. Diese drei Worte reichten aus. Die Heimat begann nicht geografisch. Sie begann sprachlich.

Ich begann zu träumen… von links nach rechts. Ich gründete eine kleine Familie. Das wäre ohne die Sprache unmöglich gewesen – sie war Brücke und Schatzkammer.

Ich lernte: Der Dativ-Plural braucht ein „n“. Er war so wesentlich wie Salz im Fattoush. Aber ich vergaß das „n“ immer wieder. Dann kam Gertraud – liebevoll, diszipliniert, deutsch – und korrigierte mich: „Mit den Kindern!“ Seit diesem Tag, wenn ich das „n“ vergesse, drehe ich mich um, als suchte ich Gertraud, und setze das „n“ schnell nach – Furcht und Freude.

Fliehen, um zu leben

Ich hasse den Satz: „Aber wenigstens bist du jetzt sicher.“ Nein. Sicherheit ist kein Privileg – es ist ein Recht. Ich floh nicht, um „in Sicherheit“ zu leben – ich floh, um zu leben.

Und so lebe ich heute in einer neuen Sprache, die andersherum läuft als jene, mit der ich hier ankam, die von rechts nach links geschrieben wird. Ich lebe heute mit Menschen die mir halfen, die Angst zu überwinden und mit manchen, die am Ende sagten: „Schade.“

Das ist wahre Integration: Wenn sich unsere Sätze schließlich in der Mitte treffen.

Ein Projekt der [4][taz Panter Stiftung].

31 Aug 2025

LINKS

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