taz.de -- Streit um Berliner Radweg: Im Angriff auf Verkehrswende wird mit Wohnverbot gedroht

Der Radweg auf der Kantstraße ist umstritten. Und er ist ein Symbol dafür, wie konservative Verkehrspolitik die „Mobilitätswende“ an die Wand fährt.
Bild: So in dieser Ordnung kann das doch nicht bleiben in der Kantstraße…

Berlin taz | Die Kantstraße in Berlin-Charlottenburg ist nicht unbedingt ein urbanes Highlight: Im Schatten des parallel verlaufenden und ungleich berühmteren Ku’damms gelegen, hat die Westberliner Magistrale architektonisch wenig zu bieten. Beliebt ist sie als eine Art pan-asiatischer Gastromeile, gefürchtet bei englischsprachigen TouristInnen ob des Gleichklangs mit dem gossensprachlichen cunt. Und spätestens seit den vergangenen Wochen ein Symbol dafür, wie konservative Verkehrspolitik die Berliner „Mobilitätswende“ [1][ganz elegant an die Wand fährt].

Seit dem Pandemiejahr 2020 gibt es auf der Kantstraße etwas, was man bei wohlwollender Betrachtung als „geschützten Radweg“ bezeichnen könnte: Radfahrende haben neben dem berlintypischen breiten Gehweg einen gelb abmarkierten Streifen. Links davon wird geparkt, noch weiter links teilen sich Pkws, Lkws und Busse eine Fahrspur.

Das Ganze sieht nicht nur provisorisch aus: Seit diese Verkehrsanordnung im Pop-up-Verfahren entstand, streiten sich etliche Akteure – die Senatsverwaltung für Verkehr, die teilautonome Bezirksverwaltung, die Feuerwehr und die Radverkehrsverbände – um die „Verstetigung“ des Dauerprovisoriums.

Die Feuerwehr ist in diesem Spiel eine Art Überraschungskarte, die nach Bedarf gezogen wird. Denn ihre Leiterwagen, mit denen im Brandfall Menschen aus Fenstern und von Balkonen gerettet werden können, haben nun mutmaßlich zu wenig Platz, um sich sicher auf der Straße aufzustellen – die Fahrspur ist so weit weg von den Fassaden, dass die Fahrzeuge beidseitig Stützen ausfahren müssen, um stabil zu bleiben. So zumindest eine Interpretation. Es gab immer wieder auch weniger dramatische Einschätzungen zu hören.

Alles nicht so simpel

Der grüne Verkehrsstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf hatte schon vor geraumer Zeit der amtierenden CDU-Verkehrssenatorin Vorschläge gemacht, wie sich das Problem aus der Welt schaffen ließe: Man müsse nur den begrünten Mittelstreifen der Straße ein bisschen schmaler machen. Weil das am Ende nicht ganz so simpel ist, wie es für Laien klingen mag, würde es wohl ein paar Millionen Euro kosten – Geld, das der Senat nicht ausgeben will.

Vor zwei Wochen nun zog der CDU-Baustadtrat des Bezirks den Feuerwehr-Joker, um seinen Parteifreunden auf Landesebene in die Karten zu spielen. Er werde an der Kantstraße demnächst das Wohnen in den oberen Stockwerken untersagen, teilte er mit: Die Menschen dort könnten im Zweifel nicht sicher gerettet werden. So wahnwitzig der PR-Stunt war, so erfolgreich war er. Kurz darauf teilte die Senatsverwaltung mit, man habe eine „gute Lösung“ gefunden. Man werde die Radspur zwischen die parkenden und fahrenden Autos legen und gleich auch noch ein paar temporäre Ladezonen für den Lieferverkehr draufpacken.

Für FahrradfahrerInnen ist das die denkbar schlechteste „Lösung“. Zumal, wie der ADFC anmerkt, die Kantstraße damit wieder zwei Spuren Raum für motorisierte Poser und Raser bieten wird, ein bekanntes Problem in der Westberliner City. Die Pop-up-Spur war 2020 auch eine Reaktion auf [2][einen brutalen Verkehrsunfall gewesen]: Ein Autofahrer hatte einen an einer roten Ampel auf der Kantstraße wartenden Radler mit voller Wucht von hinten gerammt und getötet.

Möglicherweise werden Vereine wie ADFC und Changing Cities gegen die neue Anordnung klagen. Aus ihrer Sicht wäre sie ein Verstoß gegen das Berliner Mobilitätsgesetz von 2018, das sichere Radwege auf oder an allen Hauptverkehrsstraßen vorsieht. Ob das fruchten würde, ist unklar. Die CDU arbeitet ohnehin längst an der Aufweichung dieses in Deutschland einzigartigen Regelwerks.

2 Nov 2024

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[1] /Radweg-auf-der-Kantstrasse/!6045022
[2] /Ein-Jahr-nach-dem-toedlichen-Unfall/!5747600

AUTOREN

Claudius Prößer

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