taz.de -- Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier: Männchen sind fast immer kleiner

Klischees und Vorurteile bestimmen vielfach unseren Blick auf Tiere. Abhilfe schafft der Band „Tiere und Geschlecht“.
Bild: Rotfußfalken zu Tisch: Das größere Weibchen bekommt vom Männchen eine Wühlmaus

Der kleine Berliner Neofelis Verlag betreibt ein ambitioniertes kulturwissenschaftliches Nischenprogramm, innerhalb dessen die Beschäftigung mit dem Mensch-Tier-Verhältnis einen wichtigen Bereich darstellt. Seit 2012 gibt Neofelis die Schriftenreihe „Tierstudien“ heraus. Jede Nummer steht unter einer übergreifenden inhaltlichen Klammer, etwa „Tiere auf Reisen“, „Tiere und Tod“ oder „Tiere und Emotionen“. Mittlerweile ist man bei Nummer 24 angekommen; der aktuelle Band heißt „Tiere und Geschlecht“.

Das ist ein weites Feld. Weit ist auch die thematische Bandbreite der Beiträge, ebenso die stilistische. Zum Glück ist der deutsch-akademische Bullshit-Sprech deutlich in der Minderheit, aber ein Mindeststandard an sprachästhetisch zumutbarer Lesbarkeit scheint nicht unbedingt ein Kriterium bei der Auswahl der Texte gewesen zu sein. Nicht so schlimm, die wenigen stilistischen Ausreißer lassen sich auch querlesen. Die bunte Vielfalt der Ansätze macht die Lektüre dieser Textsammlung auf jeden Fall anregend.

Mit [1][„Geschlecht“ ist je nach Perspektive alles Mögliche] gemeint – mal biologisches Geschlecht, mal Gender; mal bezieht sich der Begriff auf das nichtmenschliche Tier, mal auf den Menschen. Dass Menschen die anderen Tiere gewohnheitsmäßig auf der Grundlage menschlicher Genderzuschreibungen einordnen, wird in vielen Beiträgen thematisiert.

Die Hühner und die Hysterie

Hühner etwa wurden vor wenigen Jahrzehnten in Animationsfilmen standardmäßig als Prototyp einer hysterischen, untergeordneten Weiblichkeit dargestellt – ein Genderklischee, das inzwischen so überholt ist, dass es auch im fiktionalen Tierfilm nicht mehr zur Anwendung kommt.

Noch gravierender zeigt sich die Tendenz, die Tierwelt nach Kriterien der eigenen Art zu beurteilen, in der allgemeineren „mammal bias“, dem Säugetier-Vorurteil. Nur bei Säugetieren ist es der Fall, dass Männchen größer werden als Weibchen; insgesamt ist bei 80 Prozent aller lebenden Arten das Verhältnis aber genau umgekehrt.

Dieser Umstand, der mit der Fortpflanzungsfähigkeit von Arten zu tun hat, sei im menschlichen Bewusstsein jedoch nicht wirklich verankert und werde, schreibt Johannes Müller, „auch in der Wissenschaft immer noch nicht ernst genug genommen“.

Mit am interessantesten oder am zugänglichsten sind die historisch orientierten Beiträge. Dazu gehört etwa Nadir Webers Artikel über „Geschlechterkonstellationen in der höfischen Falknerei“. Auch bei den [2][Falken sind Weibchen] deutlich größer als Männchen, weshalb in der Falknerei meist mit weiblichen Tieren gearbeitet wird und wurde, was der Beziehung zwischen Vogel und Falkner durchaus erotische Züge verleihen konnte.

Stärkende Begleitung

Aspekte der menschlichen Selbstdarstellung stehen im Zentrum zweier Beiträge zum Thema „Mensch und Hund“: Philine Helas schreibt über die mittelalterliche Schriftstellerin Christine de Pizan, die sich mit Hund auf Gemälden verewigen ließ und damit selbstbewusst ihre Unabhängigkeit und ihren hohen sozialen Stand anzeigte.

Und in ihrem Text „Queering Bulldogs“ schildern Christiane Keim und Astrid Silvia Schönhagen, wie eine Selbstdarstellung mit Bulldogge in der Weimarer Republik die Trennlinien zwischen den Geschlechtern verschwimmen ließ.

Einige künstlerische Annäherungen ans Thema „Tier und Geschlecht“ runden, inklusive Bildmaterial, den Band ab, der gerade durch die scheinbare Disparität seiner Inhalte zeigt, wie groß das Thema ist, das er umkreist.

7 Feb 2024

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AUTOREN

Katharina Granzin

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