taz.de -- Feindschaftsspiel Deutschland vs. Türkei: Finstere EM-Stimmung

Rund um das Gastspiel der türkischen Auswahl bricht sich in sozialen Medien blanker Rassismus Bahn. Auch die Hymnendiskussion flammt wieder auf.
Bild: Falsche Pfiffe? Gästefans beim Spiel Deutschland gegen die Türkei in Berlin

Was für eine Frechheit! Was fällt den Türken nur ein? Gewinnen einfach gegen Deutschland. Und das auch noch in Berlin. Dabei sollte das Spiel doch so etwas wie der Beginn einer großen Euphoriewelle vor der Heim-Europameisterschaft im kommenden Jahr werden. So hat sich das der Turnierdirektor und deutsche Altinternationale Philipp Lahm jedenfalls vor der Partie ausgemalt. Und dann das!

Wer einen Blick in die Untiefen sozialer Netzwerke geworfen hat, dem wurde schnell ein Sündenbock für die Niederlage geliefert: [1][der deutsche Kapitän İlkay Gündoğan]. Klar, die Deutschen konnten gar nicht gewinnen, weil der Spielführer die Nationalhymne nicht lauthals in den Berliner Nachthimmel geschmettert hat.

Die Hymnendiskussion lief schon vor dem Anpfiff an. Es ist einfach niederschmetternd. Wenigstens trug Gündoğan eine Kapitänsbinde in den Nationalfarben. Wie hoch die Niederlage der Deutschen ausgefallen wäre, wenn er – schlimm, schlimm! – eine Manschette in Regenbogenfarben getragen hätte, man mag es sich gar nicht vorstellen.

Deutsch genug?

Die Debatte, ob der gebürtige Gelsenkirchener Gündoğan deutsch genug für die deutsche Nationalmannschaft ist, hatte schon in den Tagen vor dem Spiel gegen die Türkei begonnen. Das Bild [2][vom unsäglichen Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan] vor der [3][WM 2018 in Russland] feierte ein vieltausendfaches Comeback in den sozialen Medien.

Auch hier war die Botschaft eindeutig. Für die meisten Hetzer spielt der Mittelfeldmann des FC Barcelona auf Bewährung für die Deutschen, so als drohe ihm beim leichtesten Fehltritt die Ausbürgerung aus der Nationalmannschaft.

Leute ähnlicher gedanklicher Beschaffenheit beschwerten sich auf TwiX dann darüber, dass die Deutschtürken die Deutschen am Samstag in Berlin gnadenlos ausgepfiffen haben. Sie würden diese in ihren Augen undankbaren integrationsunwilligen Gäste, die sich nicht benehmen können, wohl am liebsten umgehend ausweisen. Es ist eine brutale Stimmung, die sich da auf Social Media Bahn gebrochen hat.

Vorfreude auf die Europameisterschaft im kommenden Jahr mag da nicht wirklich aufkommen. Die türkische Nationalmannschaft hat die Qualifikation bereits sicher. Vor einer Debatte darüber, wie es sein kann, dass hier ansässige türkeistämmige Menschen türkischen Fußballern zujubeln und deutsche auspfeifen, statt vor Dankbarkeit für die Gesellschaft, die ihnen erlaubt, sich hier aufzuhalten und Steuern zu zahlen, auf die Knie zu gehen, kann einem jetzt schon grausen.

19 Nov 2023

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AUTOREN

Andreas Rüttenauer

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