taz.de -- Energiegewinnung der Zukunft: Träumen von der Kernfusion

Im Forschungsausschuss des Bundestages äußern sich Experten positiv zu der Kernfusion. Doch die Probleme sind zahlreich.
Bild: Bettina Stark-Watzinger beim Besuch der Kernfusions-Forschungsanlage „Wendelstein 7-x“ in Greifswald im August 2022

Berlin taz | Deutschland hat im Rennen um die Kernfusion als Energiequelle der Zukunft gute Karten, aber es ist ein langer Weg dorthin. Diese Auffassung vertraten am Mittwoch acht wissenschaftliche Experten in einer Anhörung im Forschungsausschuss des Bundestages, die von der [1][Unionsfraktion] beantragt worden war. Überwiegend wurde ein funktionierender Fusionsreaktor zur Energiegewinnung frühestens in 20 Jahren erwartet.

Das Bundesforschungsministerium hatte kürzlich ein Förderprogramm von 370 Millionen Euro für die neue Variante der laserinduzierten Kernverschmelzung gestartet. Bei einer weiteren Technik, der Kernfusion mittels Magnetfeldern, habe sich Deutschland mit dem „Stellarator“-Versuchsreaktor in Greifswald eine weltweite Spitzenstellung erarbeitet, berichtete der Leiter des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, Thomas Klinger.

Der Direktor der Bundesagentur für Sprunginnovationen, Rafael Laguna, verwies darauf, dass jüngste Fortschritte bei Supercomputern, Laserdioden oder Hochtemperatursupraleiter dazu geführt hätten, der Fusionsforschung den Weg aus der Grundlagenforschung in die Anwendung zu ebnen. Daran sei auch die Wirtschaft interessiert: „Weltweit haben 43 Fusions-Start-ups über sechs Milliarden Dollar von privaten Investitionen eingesammelt und arbeiten sehr zielgerichtet auf wettbewerbsfähige Fusionskraftwerke hin.“

Darunter befinden sich auch vier Gründerfirmen aus Deutschland, wie das Münchner Start-up Marvel Fusion, das seinen ersten Prototypen eines Laser-Fusionsreaktors für 130 Millionen Dollar in USA errichten wird. In Deutschland fanden sich keine Finanziers dafür.

Mindestens 20 Milliarden Euro an Investitionen

Nach Auffassung der Experten im Bundestag braucht es in Deutschland für die nächsten 20 Jahre ein Investment von 20 Milliarden Euro, um Forschungskapazitäten und ein funktionierendes „Innovations-Ökosystem“ zwischen Wissenschaft und Wirtschaft aufzubauen. So gebe es an deutschen Hochschulen keinen einzigen Studiengang für Fusionstechnologie.

Die Bundesagentur für Sprunginnovationen fördert laut Laguna die Entwicklung von Lasertechnologie für die Fusionsenergiegewinnung mit insgesamt 90 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren. Nach Aussage des SPD-Abgeordneten Holger Mann könnten in ferner Zukunft weltweit 5.000 Fusionskraftwerke benötigt werden, um den steigenden Strombedarf zu decken.

[2][Doch die Technologie birgt zahlreiche noch ungelöste Probleme, wie etwa der Fusionsreaktor Iter in Frankreich zeigt]. So fehlt es beispielsweise an einem geeigneten Material für die innerste Reaktorschicht. Außerdem ist Tritium, eines der zwei Ausgangsisotope der Kernfusion, knapp. Wie sich die Fusionsförderung zum Ausbau der erneuerbaren Energien als zentralem Hebel für die Energiewende verhält, wurde von Wissenschaftlern und Politikern im Ausschuss nicht diskutiert.

Auffallend war, dass [3][FDP-Forschungsministerin] Bettina Stark-Watzinger am Vortag eine Imagekampagne zu den „Zukunftsenergien“ grüner Wasserstoff und Fusion gestartet hatte. Vergleichbare Kampagnen für die verstärkte Forschung zu Solar- und Windenergie, von deren schneller Verbreitung die Klimaziele der Bundesregierung abhängen, gibt es dagegen nicht.

28 Sep 2023

LINKS

[1] /Umgang-der-Union-mit-der-AfD/!5960447
[2] /Energie-durch-Kernfusion/!5707537
[3] /Bundesweiter-Bildungsprotest/!5961652

AUTOREN

Manfred Ronzheimer

TAGS

Forschungsreaktor
Energiewende
Kernenergie
Fusion
Energiequellen
Schwerpunkt Atomkraft
Atommüllentsorgung
Wissenschaft

ARTIKEL ZUM THEMA

Energieversorgung der Zukunft: Fusionieren statt spalten

Hamburg und Schleswig-Holstein wollen bei der Entwicklung eines Kernfusionsreaktors mitmischen. Hilft das dem Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden?

Union will Fusionsreaktor für Strom: Fantastisch, aber nutzlos

Kernfusion könne im Strommix nicht mal zum Tragen kommen, wenn es technisch möglich wäre. Das sagen wissenschaftliche Berater des Bundestags.

Atomkraftausbau in Großbritannien: Englands strahlende C-Side

Bürger:innen klagen gegen das Atomkraftwerk Sizewell C. Die Regierung will es trotz Sicherheitsbedenken bauen.

Fukushima-Kühlwasser ins Meer: „Missbraucht als nukleare Müllkippe“

Einleitung des Kühlwassers aus Fukushima beginnt. China spricht von einem „unverantwortlichen Akt“, deutsche AKW-Gegner kritisieren Japans Regierung.

Erfolgreiches Experiment in den USA: Was die Kernfusion bedeutet

US-Forschern ist ein wissenschaftlicher Durchbruch gelungen: eine Kernfusion, die mehr Energie erzeugte als benötigte. Welche Folgen hat das?