taz.de -- CDU-Verkehrspolitik in Berlin: Von Verkehrswende zu Autokonstante
Die Berliner CDU will das Mobilitätsgesetz ändern. Sie will den Vorrang fürs Auto erhalten und weniger Platz für Rad- und Fußverkehr.
Berlin taz | Während Berlins Autofahrer*innen pro Jahr [1][durchschnittlich 71 Stunden im Stau] stehen, plant die CDU weitere Geländegewinne für den motorisierten Individualverkehr auf Berlins Betonpisten. Man könnte sagen: Die Union setzt den Koalitionsvertrag mit der SPD um, dennoch empören sich insbesondere viele radaffine Protagonist*innen über die jüngst bekannt gewordenen Pläne der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Deren Änderungsentwurf für das Mobilitätsgesetz nämlich zeigt, wie sich die Union die Wende von der Verkehrswende konkret vorstellt: Schmalere Radwege, Vorbehalte gegen Spielstraßen, und der Vorrang für Fußgänger*innen und Radfahrende soll abgeschafft werden. Zuerst berichtete der [2][RBB über den Entwurf], der auch der taz vorliegt und sich zusammenfassen lässt mit: All-in fürs Auto. Im alten Mobilitätsgesetz war die Rede vom Vorrang des Radverkehrs gegenüber dem Auto. Im CDU-Änderungsentwurf heißt es nun, dass Radnetz, ÖPNV, Fuß- und Wirtschaftsverkehr sich nicht gegenseitig verdrängen sollten. Konkret dürfte das heißen: Hier bleibt alles so, wie es ist.
Hinzu kommen schmalere Wege für alles außer für Autos: Im Mobilitätsgesetz der rot-rot-grünen Koalition sollte auf allen Radwegen noch genug Platz sein, damit sich Radelnde überholen können. Bisher sollte etwa ein [3][Radweg an Hauptstraßen 2 bis 2,50 Meter umfassen], damit auch Lastenräder überholbar sind. Damit ist wohl Schluss: Neues Mindestmaß für gemeinsame Rad- und Fußwege sollen 2,50 Meter sein. Ein Einrichtungsradweg soll künftig zwischen 2 und 1,50 Meter breit sein, ein Radfahrstreifen 1,85 Meter. Möglicherweise steigende Radnutzung im Zuge einer Verkehrswende soll nicht mehr zu berücksichtigen sein, heißt es. Und wenn man schon den Rotstift zur Hand hat: Auch personell soll abgespeckt werden. Die CDU sieht künftig weniger Stellen für Radverkehrsplanung vor – nur noch eine statt zwei Vollzeitstellen pro Bezirk.
Unangenehm wird für viele auch folgende Passage sein: Galt bisher für Fußgänger*innen „Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr“, ist es damit vorbei. Fußgänger-Vorrang soll unter Vorbehalt von „Anforderungen und Bedürfnissen anderer Verkehrsteilnehmer“ gestellt werden. Spielstraßen für Kinder können aus Sicht der CDU anscheinend auch gleich mit weg – statt ausdrücklich Förderung der Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung steht im CDU-Entwurf, dass die Einrichtungen „geprüft“ werden sollen. Eine Passage zum Zurückdrängen von Autoverkehr in den Kiezen ist im CDU-Entwurf gänzlich gestrichen.
Strittige Personalie in Verkehrsverwaltung
Die CDU will am Dienstag in ihrer Fraktionssitzung über den Entwurf beraten und ihn möglicherweise beschließen. Spannend wird, wie die SPD auf den Vorstoß reagiert. Der verkehrspolitische Sprecher der CDU, Johannes Kraft, erging sich gegenüber dem RBB in Euphemismen: „Wir wollen für alle Verkehrsteilnehmer Leistungsfähigkeit, Sicherheit und Angebot neu definieren“, behauptete er – es gehe um pragmatische Lösungen und schnelle Umsetzung.
Für mehr Aufregung insbesondere in der grünen Opposition sorgte unterdessen eine Personalie in der Verkehrsverwaltung von Manja Schreiner (CDU). Dort soll [4][nach Informationen des Newsletters Table Media] aus Senatskreisen offenbar Stephanie von Ahlefeldt die neue Berliner Verkehrspolitik gestalten. Die 54-Jährige war unter Peter Altmaier (CDU) für die Energiewende verantwortlich – unter ihrer Leitung haben es etwa zentrale Forderungen [5][von Windkraftgegner*innen ins Klimapaket] geschafft, wie Grüne und Klimabewegung kritisierten, sie galt als [6][„verlängerter Arm der Energiewendegegner“].
Die Ausschreibung der übergeordneten Leitung der Berliner Verkehrspolitik stammte noch aus Zeiten der grünen Senatorin Bettina Jarasch. Und auch Änderungen in der Stellenanzeige werfen Fragen auf, so wurde der Ausschreibungstext angepasst. Eine „unabdingbare“ Voraussetzung, die Ahlefeldt nicht erfüllte, wurde gestrichen: „einschlägige langjährige Berufs- und Leitungserfahrungen im Bereich Verkehr, insbesondere in der Verkehrspolitik und Verkehrsentwicklungsplanung und Mobilität sowie Erfahrungen im Umgang mit Verkehrsträgern“. Neu reingekommen ist dafür eine auf die Spitzenbeamtin maßgeschneiderte Bedingung: „Leitungserfahrungen im Bereich verkehrlicher, digitaler und/oder leitungsgebundener Infrastrukturen.“
Grünen-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Werner Graf, ist offensichtlich deutlich verärgert über die Personalie und nannte von Ahlefeldt „Dark Voldemort der Energiewende“, die nun auf die Berliner Verkehrspolitik losgelassen werden solle. Die Stellenbesetzung habe „mehr als ein Geschmäckle“, so Graf. „Es steht der Verdacht im Raum, dass hier nicht nach Qualifikation, sondern nach Ideologie entschieden und eine CDU-Parteifreundin versorgt werden sollte“. Zusammen mit dem Entwurf der CDU-Fraktion für die Zukunft von Berlins Verkehrspolitik würde es jedenfalls gut ins Gesamtbild passen.
17 Sep 2023
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Das fehlendes Kapitel des Mobilitätsgesetzes zu „Neuer Mobilität“ sollte langsam einmal kommen. Danach sieht es aber eher nicht aus.
Die rot-grüne Hamburger Koalition will den Fußgängerverkehr fördern. Das größte Konfliktpotenzial birgt die Konkurrenz um den knapp bemessenen Raum.
Grüne schockiert, SPD pikiert: Die CDU-geführte Verkehrsverwaltung pfeift auf Bundesmillionen und beerdigt die „Promenade“ am Halleschen Ufer.
Die vom Senat versprochene Beschleunigung beim Bau neuer Radwege lässt auf sich warten. KritikerInnen sagen auch: Das Geld wird 2024 nicht reichen.
Der grüne Oberbürgermeister Belit Onay will Niedersachsens Metropole „nahezu autofrei“ machen. Doch was braucht es, um eine City umzukrempeln?
Mehrere Umweltverbände appellieren an die Sozialdemokrat:innen, sich gegen die CDU-Verkehrspläne zu stellen. Sie rennen damit offene Türen ein.
Die CDU-Verkehrssenatorin weist im Parlamentsausschuss Vorwürfe zurück, sie wolle eine zentrale Stelle parteipolitisch vergeben. Das Vergabeverfahren sei vielmehr „ein sehr gutes“.
Dass die Verkehrssenatorin die Verantwortung auf die Radler abwälzen will, anstatt sichere Infrastruktur zu schaffen, ist das Problem. Nicht ihr Doktortitel.
Berlins Verkehrssenatorin gerät in den Verdacht, für ihre Dissertation geklaut zu haben. Fürs Klima wäre ein eventueller Rücktritt nur von Vorteil.
Der Radweg in der Ollenhauerstraße ist ein Flickwerk aus verschiedenen Epochen der Verkehrslenkung. Der neue Radweg aber lässt auf sich warten.