taz.de -- Handel zwischen Europa und Südamerika: Wettbewerb mit China reicht nicht
Die Ampelkoalition will Handelsabkommen vorantreiben, um Peking auszubooten. Das ist paternalistisch. Eher muss Wirtschaften neu gedacht werden.
Der nachhaltige Umbau der Energiesysteme setzt einen neuen Wettlauf um Ressourcen – und Subventionen – in Gang: Lithium oder Kupfer für Batterien, Flüssiggas und Wasserstoff.
Die rot-grün-gelbe Bundesregierung will deshalb die neoliberalen Handelsabkommen der 2000er Jahre wieder zum Leben erwecken. Der [1][Ceta-Pakt] der EU mit Kanada wird vorangetrieben. Neue Partnerschaften mit afrikanischen Staaten werden aufgesetzt und die EU-Afrika-Abkommen namens EPAs überarbeitet. Der EU-Mexico-Vertrag lebt wieder auf.
[2][Jetzt soll das EU-Handelsabkommen mit den lateinamerikanischen Mercosur-Staaten wieder auf den Tisch], nachdem der rechtsextreme brasilianische Regierungschef Bolsonaro durch den [3][linken Lula] abgelöst wurde. Vorrangig geht es bei den alten Freihandelsabkommen, die die neue Bundesregierung wieder aus der Schublade geholt hat, um Partnerschaft, betont etwa Bundeskanzler Scholz. Europa will, nein muss China den Rang ablaufen, heißt es gleichzeitig.
Auf einmal sind Politiker und Manager empört, dass [4][China überall Handel treibt] – ohne Werte. Zwar produzieren europäische Autohersteller mit Zwangsarbeit durch Uiguren in China, aber Afrika oder Lateinamerika China zu „überlassen“ – das geht natürlich nicht. Diese paternalistische Argumentation offenbart eine internalisierte koloniale Grundstimmung Europas. Klar, die Abhängigkeit Deutschlands oder der EU von China etwa bei vielen Rohstoffen einzudämmen und die Diversifizierung der Lieferketten zu erreichen, ist wichtig. Das bedarf aber einer grundsätzlichen Umstrukturierung unseres Wirtschaftens.
Das Narrativ „im Wettbewerb mit China“ liefert kein ausreichendes Argument dafür, ein über 20 Jahre altes Abkommen voranzutreiben, das viele Ziele in Sachen Menschenrechte und Umweltschutz unterläuft – auch wenn ein bisschen mehr Nachhaltigkeit im Subtext des Vertrags vorkommt. Statt neue Absatzmärkte für klimaschädliche Produkte wie Verbrenner oder [5][Pestizide] zu suchen, sollten die Subventionen dafür beendet werden.
30 Jan 2023
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die Ratifizierung des Freihandelsabkommens ist in Frankreich damit zunächst gescheitert. Die Opposition fürchtet zu viel Konkurrenz aus Kanada.
Das EU-Mercosur-Handelsabkommen bedroht Existenzen in Europa und Südamerika. Das kritisiert eine Koalition aus Klimaaktivisten und Bauern.
Habeck und Özdemir sind in Lateinamerika unterwegs. Vor allem Brasilien brauchen die Grünen für ihre ökologische Transformation.
Komponenten chinesischer Hersteller sollen beim Ausbau des schnellen Mobilfunknetzes nicht verbaut werden. Die Bundesregierung fürchtet Abhängigkeit.
US-Außenminister Anthony Blinken hat seine Reise abgesagt. Zwischen Peking und Washington herrscht grundsätzlich dicke Luft.
Der Suizid eines Jugendlichen in China zeigt das Misstrauen der Menschen gegenüber dem Staat. Eine Pressekonferenz zum Fall verfolgen Millionen.
Attac will einen Neustart der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und südamerikanischen Staaten. Das Mercosur-Abkommen sei indes überholt.
Kanzler Scholz trifft in Brasilien auf den neuen Präsidenten Lula, mit dem das Mercosur-Handelsabkommen in greifbare Nähe rückt. Die Hürden sind hoch.
Die Post-Ukrainekrieg-Weltordnung erfordert eine Abkehr von diktatorischen Handelspartnern. Die inzwischen veränderte Ceta könnte ein Vorbild sein.
Selbst Grüne haben für die Ratifizierung von Ceta gestimmt. Warum das problematisch ist und wie es jetzt weitergeht: eine Analyse in fünf Schritten.