taz.de -- Irans Revolutionsgarden: Terroristen in Uniform

Die iranische Elitetruppe ist entscheidend an der Unterdrückung der Proteste beteiligt. Sie gehört auf die EU-Liste der Terrororganisationen.
Bild: Eine Parade der iranischen Revolutionsgarden unweit von Teheran, September 2022

Die Revolutionsgarden fördern Terrorismus im Iran und im Ausland, auch in Europa. Sie nicht auf die EU-Terrorliste zu setzen, käme einer Realitätsverweigerung gleich und wäre gefährlich kurzsichtig. Das Signal, das Europa damit an die Iranerinnen und Iraner sendet, die genau schauen, wie Europa sich verhält, wäre fatal.

Letzte Woche leuchtete der Nachthimmel über Saqqez. Die Menschen aus der Heimatstadt von Mahsa Jina Amini feierten mit Feuerwerk die Abstimmung des EU-Parlaments. Mit überwältigender Mehrheit forderten die Parlamentarier die EU dazu auf, die iranischen Revolutionsgarden als [1][Terrororganisation] zu listen. Für die Menschen im Iran bedeutet das einen persönlichen Sieg. Ein kleiner Etappensieg, zugegeben.

Denn ob die [2][Revolutionsgarden tatsächlich auf die EU-Terrorliste] kommen, bleibt nach wie vor ungewiss. Diese Woche hätten die Außenminister der EU-Staaten theoretisch die Gelegenheit dazu, wenn sie am Montag zusammenkommen. Doch die EU versteckt sich – wider jegliche politische Vernunft – weiter hinter fadenscheinigen Ausreden.

Bei der Unterdrückung der Proteste spielen die Revolutionsgarden eine entscheidende Rolle. Gegründet wurden sie 1979 vom Revolutionsführer Ruhollah Chomeini mit dem erklärten Ziel, das neue System gegen Feinde im Aus- und Inland zu verteidigen. Seitdem gehören die Revolutionsgarden – wie die reguläre Armee und die Polizei – zu den iranischen Streitkräften.

Lizenz zum Töten

Ihren [3][Auftrag, das islamistische Herrschaftssystem zu schützen], erfüllen die Revolutionsgarden, indem sie Aufstände blutig niederschlagen und Oppositionelle mit ihrem mächtigen Geheimdienst verfolgen. Dabei haben die Regimeagenten praktisch die [4][Lizenz zum Töten]. Für die über 500 Toten seit Beginn der Proteste, darunter über 70 Kinder, wurde niemand je zur Rechenschaft gezogen.

Ihre blutige Spur setzt sich fort im Ausland, vor allem in den Nachbarstaaten Irak, Syrien und Libanon. Dort verüben sie mit ihrer Eliteeinheit, den Quds-Brigaden, nicht nur selbst Anschläge, sondern trainieren irantreue Milizen wie die libanesisch-schiitische [5][Hisbollah], deren militärischer Flügel längst auf der [6][EU-Terrorliste] steht. Auch vor Europa macht der iranische Staatsterrorismus nicht halt.

[7][Im Januar 2018] unternahm die deutsche Polizei Razzien gegen zehn mutmaßliche Agenten der Revolutionsgarden, die israelische und [8][jüdische Einrichtungen], einschließlich eines jüdischen Kindergartens, für mögliche Attentate ausgespäht haben sollen. Im Februar 2021 wurde ein in Österreich akkreditierter iranischer Diplomat dafür verurteilt, einen Bombenanschlag auf Exil-Oppositionelle in Frankreich geplant zu haben.

Und nun stehen die Revolutionsgarden bei deutschen Ermittlern im Verdacht, im vergangenen November Anschläge auf deutsche Synagogen verübt zu haben. Das sind nur einige der jüngsten Beispiele. Was müssen die Revolutionsgarden noch tun, um als Terroristen zu gelten?

Gegner einer Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisation argumentieren einerseits mit der Befürchtung, dass damit ein neues [9][Atomabkommen] endgültig verhindert werden würde, andererseits mit der wachsenden Macht der Revolutionsgarden innerhalb der Islamischen Republik. Nach einem möglichen Putsch könnten die Revolutionsgarden identisch mit dem Regime sein, sodass Beziehungen zwischen Iran und Europa nicht mehr möglich wären. Beide Argumente sind indes irreführend.

Die wahre Macht im Iran

Das Atomabkommen ist längst tot und wäre aufgrund der Menschenrechtsverletzungen im Iran politisch ohnehin nicht mehr zu rechtfertigen. Ob das Abkommen seinen eigentlichen Zweck, Iran von Atomwaffen fernzuhalten, erfüllen kann, ist ebenfalls fraglich. Richtig ist hingegen die Feststellung, dass die Revolutionsgarden mit ihrem allgegenwärtigen Geheimdienst, ihren steuerbefreiten Unternehmen und den Basidschi, ihrer millionenstarken, massiv indoktrinierten Freiwilligenmiliz, längst die wahre Macht im Iran sind.

Wer die Revolutionsgarden also als Terrororganisation listet, könnte auch das Regime selbst als Terrororganisation listen. Tatsächlich ist die Islamische Republik ein Terrorregime. Zuständig für die Listung der Revolutionsgarden wäre der EU-Ministerrat. Dort legen die Außenminister der Mitgliedstaaten die Außenpolitik der EU fest. Dass dies noch nicht geschehen ist, liege an „rechtlichen Hürden“.

Solange kein europäisches Gerichtsurteil über terroristische Aktivitäten der Revolutionsgarden aus den letzten fünf Jahren vorliegt, sei eine Einstufung der Revolutionsgarden als Terrororganisation nicht möglich. Bei genauerem Hinsehen erweisen sich die Hürden jedoch als nicht existent.

Auf die Anfrage des außenpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, räumte selbst ein Staatssekretär des Auswärtigen Amtes ein, dass „die Aufnahme von Ermittlungen oder Strafverfolgung wegen einer terroristischen Handlung oder des Versuchs, eine terroristische Handlung zu begehen“, als Voraussetzung für eine Listung als Terrororganisation ausreicht.

Der Vorwand des fehlenden Gerichtsurteils, den EU-Funktionäre und einzelne Regierungen dennoch gebetsmühlenartig wiederholen, deutet eher auf den Mangel an politischem Willen. Er dient der EU dazu, zwischen dem steigenden öffentlichen Druck einerseits und alten Richtungszwängen, wie das Festhalten am Atomabkommen, weiter tatenlos herumzulavieren. Das ist unaufrichtig.

Die Mehrheit der Iranerinnen und Iraner hat sich längst dafür entschieden, dass ihr menschenverachtendes Regime enden muss. Was die Menschen im Iran jetzt brauchen, sind starke Signale der Unterstützung auch aus Europa. Ihnen diese zu verwehren, könnte uns in einer nahen Zukunft, die vom wachsenden Einfluss Chinas und Russlands geprägt ist, einen wichtigen und strategischen Partner kosten.

23 Jan 2023

LINKS

[1] https://www.dw.com/de/so-funktioniert-die-terrorliste-der-europ%C3%A4ischen-union/a-64384935
[2] /Sanktionen-gegen-Irans-Revolutionsgarden/!5910019
[3] https://monde-diplomatique.de/artikel/!5898444
[4] /Proteste-in-Iran/!5883755
[5] /Hisbollah-in-Deutschland/!5651314
[6] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ%3AL%3A2022%3A025%3AFULL&from=DE
[7] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/G-8-2018-000008_DE.html
[8] https://www1.wdr.de/nachrichten/schuesse-synagoge-essen-polizei-juedische-einrichtungen-100.html
[9] /Fortsetzung-der-Verhandlungen-mit-Iran/!5904387

AUTOREN

Teseo La Marca
La Marca

TAGS

Proteste in Iran
Iranische Revolutionsgarden
Frauenrechte
Demokratiebewegung
Atomabkommen mit Iran
GNS
Proteste in Iran
Irak
Iranische Revolutionsgarden
Bundestag
Atomabkommen mit Iran
Proteste in Iran
Proteste in Iran
wochentaz
Proteste in Iran
Proteste in Iran

ARTIKEL ZUM THEMA

Iran in Anschlagspläne verwickelt: Terror im Auftrag Teherans

Das Urteil nach Anschlagsplänen gegen eine Synagoge hat ein Nachspiel. Kommen die Revolutionsgarden jetzt auf die Terrorliste?

Außenministerin Baerbock im Irak: Blick Richtung Zukunft

Außenministerin Baerbock reist in den Irak. Sie wirbt um Zusammenarbeit bei Sicherheitsfragen – und für den Kampf gegen die Klimakrise.

Omid Nouripour zum Iran: „Ich verstehe die Frustration“

Grünen-Chef Omid Nouripour ist in Iran geboren. Er fordert von der EU, die iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation zu listen.

Abgeordneten-Patenschaften für Iran: Grüne halten sich zurück

Zahlreiche deutsche Abgeordnete haben Patenschaften für politische Gefangene in Iran übernommen. Die Grünen sind verhältnismäßig schwach vertreten.

Militäranlage im Iran: Iran spricht von Drohnen-Angriff

Bei einem Luftangriff ist nach iranischen Angaben eine Militäreinrichtung beschädigt worden. Teheran machte „Gegner und Feinde“ Irans verantwortlich.

Iran-Revolution in Berlin: Druck machen mit Briefeschreiben

Politische Patenschaften können Gefangenen in Iran helfen, sagt die Aktivistin Daniela Sepheri. In Berlin machen 29 Abgeordnetenhaus-Mitglieder mit.

EU-Sanktionen gegen den Iran: Revolutionsgarden ausgeklammert

Wegen der Gewalt gegen Oppositionelle verhängt die EU neue Sanktionen gegen den Iran. Die Revolutionsgarden stuft sie jedoch nicht als terroristisch ein.

Aktivistin über Revolution in Iran: „Enttäuscht von deutschen Linken“

Sanaz Azimipour ist mit ihrer Gruppe „Woman* Life Freedom Collective Berlin“ aktiv. Sie versucht, politischen Gefangenen in Iran zu helfen.

Frauen in Iran: Scheherazades 1001 Töchter

Weibliches Märtyrertum ist in der persischen Kultur fest verankert. Die alten Mythen sind eine Bastion gegen den aufgezwungenen islamischen Glauben.

Fortsetzung der Verhandlungen mit Iran: Hohle Worte der Solidarität

Die EU-Sanktionen gegen Iran sind spärlich. Europa setzt trotz der Menschenrechtslage auf das Atomabkommen und trifft sich sogar mit Regime-Vertretern.