taz.de -- Proteste in Iran: EU beschließt neue Sanktionen

Weitere Strafmaßnahmen sind gegen Iran verhangen worden, darunter gegen das IT-Unternehmen Arvan Cloud. Revolutionsgarden sind noch nicht gelistet.
Bild: Irans „Oberster Führer“ Chamenei (mit Turban) mit Kommandeuren der Streitkräfte in Teheran, Oktober

Brüssel taz | Vor dem Hintergrund der massiven Repression im Iran hat die EU den Druck auf [1][das Mullah-Regime] nochmals erhöht. Die EU-Außenminister beschlossen bei ihrem Treffen in Brüssel am Montag, Sanktionen gegen 29 Personen und drei Organisationen zu verhängen, die mit der gewalttätigen Unterdrückung der Proteste in Verbindung gebracht werden. Es ist bereits die zweite Strafe binnen eines Monats.

Die neuen Sanktionen träfen „den inneren Machtzirkel der Revolutionsgarden“, sagte [2][die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock]. „Wir senden ein erneutes und zwar unmissverständliches Signal an das iranische Regime“, betonte sie.

Unter den neuen Organisationen auf der Sanktionsliste befindet sich auch [3][das iranische IT-Unternehmen Arvan Cloud, zu dem die taz] gemeinsam mit Correctiv und netzpolitik.org recherchiert hatte. Die EU wirft dem Unternehmen nun vor, der iranischen Regierung beim Aufbau eines nationalen Internets zu helfen.

Arvan Cloud sei „an der Zensur und den Bemühungen der iranischen Regierung beteiligt, das Internet als Reaktion auf die jüngsten Proteste im Iran abzuschalten“, heißt es in der Begründung. Die Firma werde auch mit Personen in Verbindung gebracht, die für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Iran verantwortlich seien.

Todesurteil wegen „Korruption auf Erden“

Im Iran ist indes [4][am Sonntag ein Todesurteil] im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Führung des Landes verhängt worden. Ein Gericht in der Hauptstadt Teheran habe die Todesstrafe ausgesprochen, teilte die Justizbehörde auf ihrer Website Misan Online am Sonntag mit.

Die verurteilte Person sei unter anderem schuldig befunden worden, ein Regierungsgebäude angezündet, „die öffentliche Ordnung gestört“ und die „nationale Sicherheit“ bedroht zu haben. Ihr wird demnach auch „Korruption auf Erden“ vorgeworfen sowie ein „Feind Gottes“ zu sein – einer der schwersten Straftatbestände des iranischen Rechts. Über die Identität oder das Alter des oder der Verurteilten wurde nichts bekannt.

„Das ist grausam“, kommentierte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn das Urteil bei dem Treffen in Brüssel am Montag. Die EU werde keine Ruhe geben und Teheran zur Verantwortung ziehen.

Im Gespräch ist, die iranischen Revolutionsgarden nicht nur abzustrafen, sondern auch auf die EU-Terrorliste setzen zu lassen. Die Rechtslage sei aber „komplex“, räumte Baerbock ein. Deshalb sei dieser Schritt noch einmal aufgeschoben worden. Die Verantwortlichen glaubten, „ohne Konsequenzen ihre eigenen Menschen unterdrücken, einschüchtern und töten zu können“, empörte sich Baerbock. Dies sei jedoch ein Irrtum.

Keine EU-Strategie erkennbar

Bei den Protesten, die durch den Tod der 22-Jährigen Jina Mahsa Amini im September ausgelöst worden sind, sind nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Iran Human Rights bislang mindestens 326 Menschen getötet worden. Mittlerweile geht es nicht mehr nur um das Tragen des Kopftuchs und andere umstrittene Regeln der Sittenpolizei. Viele Demonstranten verlangen auch den Sturz des islamistischen Regimes.

Die EU hat sich diese Forderung allerdings nicht zu eigen gemacht. Sie reagiert auf die Repression; eine Strategie ist bisher nicht zu erkennen. Dies liegt auch daran, [5][dass die Europäer noch vor Kurzem auf eine Wiederbelebung des Atomabkommens aus dem Jahr 2015 (JCPOA) hofften]. Man dürfe es sich nicht endgültig mit Teheran verscherzen, um das Atomabkommen und damit den Frieden in der Region zu retten, hieß es in Brüssel.

Nun liegt der Deal auf Eis, die Spannungen zwischen Iran und Israel haben sich massiv verschärft. Für weiteren Zündstoff sorgen die iranischen Waffenlieferungen an Russland. Wegen iranischer Drohnen hatte die EU bereits weitere Sanktionen verhängt, unabhängig von den nun beschlossenen neuen Strafmaßnahmen. Weitere Strafen könnten folgen, deutete der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell an.

Borrell wollte den Ministern neue Belege für iranische Waffenlieferungen vorlegen. Außerdem ging es bei dem Treffen in Brüssel am Montag um die Lage in der Ukraine nach dem russischen Rückzug aus Cherson. Borrell wandte sich gegen eine diplomatische Initiative. „Die Ukraine muss selbst entscheiden, was sie als nächstes macht“, sagte der Spanier. „Unsere Pflicht ist es, sie zu unterstützen.“ (mit Agenturen/Mitarbeit: Jean-Philipp Baeck)

14 Nov 2022

LINKS

[1] /Proteste-in-Iran/!5893297
[2] /Aufstand-in-Iran/!5894599
[3] /Iranische-Tarnfirmen-in-Deutschland/!5885984
[4] /Protestierende-in-Iran/!5894655
[5] /Politologe-ueber-Krise-im-Mittleren-Osten/!5654745

AUTOREN

Eric Bonse

TAGS

Proteste in Iran
Schwerpunkt Iran
Islam
EU-Sanktionen
Brüssel
Atomabkommen mit Iran
Internet
EU-Budget
Proteste in Iran
Proteste in Iran
Proteste in Iran
Proteste in Iran

ARTIKEL ZUM THEMA

Uran im Iran: Hat Teheran bald eine Atombombe?

Im Iran soll hochangereichertes Uran lagern. Die UN-Atombehörde und die Regierung verhandeln. Das Atomabkommen liegt weiter auf Eis.

Strafmaßnahmen gegen Iran: EU sanktioniert IT-Firma ArvanCloud

Brüssel wirft dem Unternehmen vor, Teheran beim Aufbau eines nationalen Internets zu helfen. Die taz hatte Verbindungen nach NRW offengelegt.

Last-Minute-Einigung bei EU-Haushalt: Klimaschutz zentral in EU-Haushalt

2023 sollen mehr als 186 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt verplant werden können. Zentrale Rollen spielen der Klimaschutz und Folgen des Ukrainekrieges.

Angriff auf Iraner in Berlin: Keine Angst vor den Mullahs

Vom Angriff auf ihre Mahnwache lassen sich die Aktivist*innen von Feminista.Berlin nicht abschrecken. Aktionen zur Iran-Revolution gehen weiter.

Protokoll einer Gefangenen in Iran: „Die Agenten verbanden mir die Augen“

In Iran geht das Regime weiter gewaltsam gegen jeglichen Protest vor. Eine Iranerin schildert, wie sie tagelang verhört wurde – ein Protokoll.

Aufstand in Iran: Baerbock weist Drohungen zurück

Teheran drohte, auf Deutschlands Iran-Politik entschlossen zu antworten. Die deutsche Außenministerin verweist auf mögliche neue Sanktionen.

Iranische Tarnfirmen in Deutschland: Die Iran-Connection von Meerbusch

Eine iranische IT-Firma hilft in Iran bei der Internet-Abschottung. Ihr Ableger in Deutschland hilft, die US-Sanktionen zu vermeiden.